Kein Motiv für Falschbelastung gefunden – Also muss es eine Vergewaltigung gewesen sein. Für ein Glaubhaftigkeitsgutachten fehlte leider das Geld



Veröffentlicht am 6. Juli 2012 von

Tizian, Die Vergewaltigung der Lucrezia

Weil es den Tatvorwurf der Vergewaltigung als nachgewiesen ansieht, hat das Landgericht Mönchengladbach gestern einen 22-jährigen Familienvater nach 4 Verhandlungstagen zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt. Für mich als Verteidiger war das die erste Verurteilung in einem Vergewaltigungsverfahren seit etlichen Jahren, und Zweifel sind angebracht. Das dünne Eis der Revision wartet schon.

Schwerpunktmäßig hat die Kammer ihre Überzeugung auf ein fehlendes Falschbelastungsmotiv gestützt, weiterhin auf ihren persönlichen Eindruck von der zur Tatzeit 20-jährigen Zeugin. Die hatte in der Hauptverhandlung sehr sachlich, ja fast schon unterkühlt ausgesagt. Sie sei aus Gründen, die sie selbst nicht mehr wisse, gegen 3 Uhr nachts auf dem Nachhauseweg von der Disco am Hauptbahnhof aus dem Überlandbus ausgestiegen und dann in den Bahnhof gegangen, um zu schauen, ob von dort ein Zug in Richtung Heimat führt. Dabei habe sie eigentlich gewusst, dass das um diese Zeit nicht der Fall ist. Draußen sei sie dann zu meinem Mandanten in einen betagten silbernen Audi eingestiegen, den sie für ein Taxi oder einen Mietwagen gehalten habe, obwohl das Fahrzeug keinerlei einschlägige Attribute wie Taxischild, Werbeaufdrucke, Taxameter oder ähnliches aufwies. Die Graffitis auf der Motorhaube seien ihr nicht aufgefallen. Der Mann sei dann mit ihr in die falsche Richtung gefahren und habe nacheinander zwei Plätze angefahren, wo er zunächst verbal versucht habe, sie zu sexuellen Handlungen zu überreden. Zuvor hätte er schon mehrfach zu ihr gesagt, man könne das auch anders regeln, als sie dem vermeintlichen Taxifahrer offenbarte, dass sie nicht genügend Geld für die Taxifahrt nachhause habe. Auf dem zweiten Platz sei es dann gegen ihren Willen zu oraler und vaginaler Vergewaltigung gekommen, sie habe dem Mann zuvor noch gesagt, dass sie noch Jungfrau sei und keine sexuellen Erfahrungen habe. Auf dem ersten angefahrenen Platz habe der Mann ein Pistolenfeuerzeug in der Hand gehalten und damit rumgefuchtelt, das sie für eine scharfe Waffe gehalten habe. Das sei auch der Grund gewesen, warum sie sich nicht richtig gegen die Vergewaltigung zu Wehr gesetzt habe.

Nach der Tat habe der Mann sie noch nachhause gefahren und unterwegs noch einen Bekannten mitgenommen, der hinten im Fahrzeug gesessen habe. Sie habe sich nichts von der Vergewaltigung anmerken lassen, so dass der Mann wohl den Eindruck haben musste, alles sei in Ordnung. An fast jeder Ampel habe der Täter sie noch auf den Mund geküsst. Irgendwelche Abwehrreaktionen schilderte die Zeugin nicht. Sie habe später mit meinem Mandanten noch die Handynummern getauscht. Er habe gesagt, er wolle sie wiedersehen. Vielleicht könne aus beiden ja noch etwas werden. Zuhause habe sie dann sofort die Polizei angerufen und die Vergewaltigung zur Anzeige gebracht.

Eine unmittelbar danach erfolgte medizinische Untersuchung hatte keinerlei Verletzungen oder sonstige Auffälligkeiten ergeben.

Mein Mandant hat den stattgefunden Geschlechtsverkehr nicht bestritten. Dieser sei aber freiwillig erfolgt. Die Frau sei initiativ geworden, hatte er bei der Polizei geschildert. Das Pistolenfeuerzeug (das man in der Tat rein optisch für eine echte Pistole halten kann) habe sie gesehen, weil er sich damit eine Zigarette angezündet habe.

Die junge Frau hatte knapp zwei Stunden nach der Tat einen Atemalkoholwert von 0,66 mg/l. Das entspricht einem Blutalkoholwert von hochgerechnet etwa 1,5 Promille zur Tatzeit. Nicht wenig für eine 20-Jährige. Ich habe in meinem Plädoyer unter anderem geltend gemacht, dass die Frau die Situation vielleicht alkoholbedingt nicht mehr sachgerecht wahrgenommen hat und deshalb im Nachhinein zu der Überzeugung gelangt sein könnte, sie müsse vergewaltigt worden sein, weil sie so etwas normalerweise nicht machen würde. Ich habe auf zahlreiche Widersprüche im Aussageverhalten, auf mangelnde Plausibilität und Erlebnisbezogenheit verschiedener Aussagedetails hingewiesen. Und warum sollte mein Mandant ihr im Nachhinein noch seine richtige Mobilnummer gegeben haben, wenn er davon ausging, sie zuvor vergewaltigt zu haben. Die Zeugin hatte selbst zu Protokoll gegeben, sie habe den Eindruck gehabt, der Mann sei sich keiner Schuld bewusst gewesen.

Ich habe die Gefahr einer Verurteilung durchaus gesehen, als erfahrener Verteidiger hat man das im Gespür. Deshalb habe ich in meinem Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens gestellt, weil die Zeugin auch nach der Aussage der sehr erfahrenen Vernehmungsbeamtin eine sehr ungewöhnliche Persönlichkeit habe und so gut wie keine Empathie bei der Schilderung des behaupteten Tatablaufs gezeigt habe. Sie hätte weder Ekel noch Schmerzen noch nennenswerte Abwehrhandlungen beschrieben. Die Polizeizeugin hatte angegeben, sie hätte sich während der Vernehmung die Frage gestellt, ob die Zeugin vielleicht zu einer religiösen Sekte gehöre und deshalb so emotionslos ausgesagt habe.

Ich habe auch die Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt zum Beweis der Tatsache, dass die Zeugin alkoholbedingt nicht in der Lage war, die Situation sachgerecht zu erfassen. Darauf deute schon hin, dass sie ursprünglich angegeben hatte, sie sei von der Disco zu Fuß zum Bahnhof gelangt, während sie später angegeben hatte, sie sei mit dem Bus dorthin gefahren, aber aus unerfindlichen Gründen und ohne Not dort ausgestiegen. Auch dass sie das Fahrzeug meines Mandanten für ein Taxi gehalten habe, deute auf alkoholbedingte Wahrnehmungsstörungen hin.

Die Beweisanträge waren sehr viel umfangreicher, als ich das hier darstellen kann. Und die Verhandlung war natürlich auch noch sehr viel komplexer. Die Kammer hat sich für sachkundig gehalten. Der Bewertung der Zeugenaussage sei ureigene Aufgabe des Gerichts. Sie hat keinen Sachverständigenbeweis erhoben. Und sie hat kein Motiv für eine Falschbelastung erkannt. Eine autosuggestive Falschbelastung hat sie verneint. Sie hat sich umfassend auf die Aussage des angeblichen Tatopfers bezogen und diese nicht in Zweifel gezogen. Warum der Angeklagte ihr nach der Tat sogar seine richtige Telefonnummer gegeben hat, wurde in der mündlichen Urteilsbegründung nicht thematisiert.

Jetzt müssen wir das schriftliche Urteil abwarten und dieses dann anhand der sogenannten Null-Hypothesen-Theorie des BGH analysieren. Das war schon Gegenstand meiner Ausführungen im Schlussvortag, ich verrate insoweit nichts Neues.

Ich hätte der Kammer gerne schon in der Verhandlung ein Glaubhaftigkeitsgutachen präsentiert, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass dieses zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Im Wege der Selbstladung eines oder einer Sachverständigen kann ich dem Gericht ein Gutachten aufzwingen, auch wenn dieses sich für sachkundig hält. Ich habe auf diesem Weg schon mehrfach in Vergewaltigungs- und Missbrauchsverfahren die Weichen in die richtige Richtung stellen können. Leider war mein Mandant nicht in der Lage, die finanziellen Mittel für ein solches Gutachten zur Verfügung zu stellen. Das ist bitter für ihn. Es gibt Leute, die sprechen von Klassenjustiz, wenn der Ausgang eines Verfahrens von den finanziellen Mitteln des Angeklagten abhängt. Das gilt bisweilen auch schon bei der Auswahl des Verteidigers.

Schlussbemerkung:

Ich weiß nicht, was in der Tatnacht tatsächlich passiert ist. Ich war schließlich nicht dabei. Die Wahrheit kann auch in der Mitte liegen. Vielleicht ging er ja davon aus, dass sie freiwillig mitmacht, während sie keinen Widerstand leistete, weil sie alkoholbedingt sein Feuerzeug für eine Waffe hielt und meinte, dass Widerstand zwecklos ist. Ich frage mich, warum eine junge Frau um 3 Uhr nachts am Bahnhof aus dem Bus aussteigt, der sie nachhause bringen soll. Und warum sie bei der Tat keinen Widerstand leistet und sich später auf den Mund küssen lässt, ohne auch nur den Kopf wegzudrehen. Und noch so manches mehr. So viele Fragen … aber keine Zweifel??!!!

 

 


Kategorie: Strafblog
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