Das Geschehen war zu schrecklich und das Leid der Opfer zu groß, als dass ich mich allzu lauthals freuen könnte über die heute Morgen verkündete Entscheidung des Kölner Landgerichts, durch welche die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Mordes in 25 Fällen und Beihilfe zum Mord in mehr als 600 Fällen gegen meinen bald 90-jährigen Mandanten abgelehnt wurde. Aber für den zur Tatzeit 19-jährigen Angeschuldigten ist es eine gute Nachricht, die nach meinem Dafürhalten auch der Sach- und Rechtslage entspricht.
Ich will hier nicht Alles wiederholen, was ich zu dem Fall bereits im strafblog berichtet hab. Wer interessiert ist, kann Einzelheiten unter den nachfolgenden Links nachlesen:
Riesiges Medieninteresse an Oradour-Verfahren – Abmahnung an BILD geschickt
BILD entfernt abgemahnte Berichterstattung nach Zustellung der einstweiligen Verfügung
Aus meiner Sicht zutreffend hat das Landgericht dargelegt, dass bei vernünftiger Würdigung der Beweislage eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht bejaht werden kann. Abgesehen davon, dass kaum noch lebende Zeugen vorhanden seien, beruhten die von der Staatsanwaltschaft angeführten wesentlichen Beweiserwägungen auf nicht hinreichend tragfähiger Grundlage. So sei die Provenienz einer Kompanie-Liste (sog. „Washingtoner Material“), aus welcher die Staatsanwaltschaft die Zugehörigkeit des Angeschuldigten zu einer bestimmten Gruppe eines bestimmten Zuges des III. Bataillons des SS-Panzergreandier-Regiments 4 „Der Führer“ ableitete, genauso wenig geklärt wie der Zeitpunkt der Erstellung oder die inhaltliche Richtigkeit der Liste. Zahlreiche Zeugenaussage sprächen – wie ich in einem umfangreichen Antrag auf Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens im Einzelnen dargelegt hatte – gegen die Authentizität der Liste. Auch ansonsten bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich mein Mandant an Tötungshandlungen beteiligt oder diese in zurechenbarer Weise unterstützt hätte.
Die Strafkammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Darauf deutet schon der erhebliche Zeitaufwand hin. Fast 9 Monate hat es seit Eingang meiner Stellungnahme im Zwischenverfahren gedauert, bis die Entscheidung verkündet wurde. Und die umfasst immerhin 78 Seiten akribischer Darlegung der Beweislage unter Bezugnahme auf die Anklage, die außerordentlich umfangreichen Akten und auch auf die Ausführungen der Verteidigung.
Der Strafkammer gebührt viel Respekt für ihre Entscheidung. Das sage ich nicht, weil diese in meinem Sinne bzw. im Sinne meines Mandaten ausgefallen ist. Das sage ich, weil es – auch im Hinblick auf zu erwartende kritische Stimmen aus dem In- und Ausland – vielleicht politisch opportuner gewesen wäre, das Verfahren ohne großes Federlesen zu eröffnen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, dass die Justiz immer noch Nazi-Unrecht unter den Teppich kehren will.
Die Kammer hat in ihrem Beschluss klargestellt, dass sie aufgrund der Beweislage von einem schrecklichen Verbrechen ausgeht, welches von deutschen SS-Angehörigen am 10.6.1944 verübt worden ist. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass unabhängig hiervon jedem Beschuldigten sein individueller Tatbeitrag nachgewiesen werden muss. Sie hat akribisch aufgezeigt, dass nicht jeder SS-Angehörige, der in Oradour anwesend gewesen ist, das fürchterliche Geschehen auch mitgetragen und sich hieran persönlich beteiligt haben muss.
Mein Mandant hat die Nachricht von der Nichteröffnung des Verfahrens mit Erleichterung aufgenommen. Die lange Dauer des Zwischenverfahrens hat ihn belastet. Oradour belastet ihn fast sein ganzes Leben lang. Er hat sich immer „unschuldig-schuldig“ gefühlt, wie er mir von Beginn des Mandatsverhältnisses an versicherte. Unschuldig, weil er selbst keinen einzigen Schuss abgegeben habe, schuldig, weil er – wenn auch nicht ganz freiwillig – zu der Truppe gehört habe, die das Massaker verübt hat. Er hat sich im französischen Fernsehen öffentlich von dem Massaker distanziert und um Vergebung gebeten. Das unterscheidet ihn von der Vielzahl der Beschuldigten in solchen Verfahren, die oft nur griesgrämig nach unten schauen und sich zu keiner Distanzierung durchringen können. Er hat dem SPIEGEL Rede und Antwort gestanden und seine Sicht der Dinge dargelegt. Auch dort hat er sein Entsetzen über die Geschehnisse bekundet. Diese Grundhaltung hat mir die Übernahme der Verteidigung erst möglich gemacht.
Die Staatsanwaltschaft und die recht zahlreichen Nebenkläger – allesamt Angehörige der Opfer – haben die Möglichkeit, gegen den Nichteröffnungsbeschluss sofortige Beschwerde einzulegen. Dies müsste innerhalb einer Woche nach Zustellung des Beschlusses erfolgen. Ob die Staatsanwaltschaft diese Möglichkeit wahrnimmt, wird abzuwarten bleiben. Sicher wird man dort die Erwägungen der Kammer sorgfältig prüfen. Die Nebenklagevertreter um den auf Großschadenereignisse spezialisierten Berliner Anwalt Andreas Schulz, der – was die Angehörigen der Oradour-Opfer vielleicht nicht wissen – zu anderen Zeiten auch schon mal den bekennenden Nazi und verurteilten Kriegsverbrecher Erich Priebke vertreten hat, wird da vielleicht einen weniger strengen Maßstab anlegen. Warten wir´s ab.
Kategorie: Strafblog
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