You can´t win them all – Aber das war eine richtige Klatsche



Veröffentlicht am 8. Dezember 2014 von

rp_Foto-2-300x216.jpgNiemand verliert gerne, nicht im Sport oder sonst im richtigen Leben und auch nicht vor Gericht. Als Verteidiger lernt man im Laufe der Jahre, mit Niederlagen umzugehen, die gehören zum Beruf dazu. Schließlich werden Urteile ja nicht von uns selbst gefällt, sondern von denen, die von Berufs wegen dazu berufen sind, und die haben nicht selten eine andere Perspektive bei der Beurteilung der Beweislage und auch ganz andere Strafvorstellungen als wir Anwälte. Wobei ja auch Anwälte die Sach- und Rechtslage ganz unterschiedlich beurteilen können, was bisweilen auch damit zusammenhängt, in wessen Lager sie stehen.

Wichtig ist es für das berufliche Wohlbefinden, dass Erfolg und Niederlage in angemessenem Verhältnis zueinander stehen, wobei es auch zu definieren gilt, wann eine Verurteilung als Niederlage anzusehen ist.

Wenn ich eine Verteidigung übernommen habe, versuche ich zunächst einmal, mir einen Überblick über die Gesamtsituation zu verschaffen. In der Regel ist der Mandant selbst die erste Informationsquelle, die gewisse Hinweise auf die Vorwurfslage gibt. Bisweilen liegt gleich zu Beginn des Mandats auch schon ein Haftbefehl oder eine Anklageschrift vor, welche den Sachverhalt umreißt. Die wichtigste Quelle ist dann aber die Akte, aus der sich entnehmen lässt, welche Faktenlage der Strafverfolgungsbehörde vorliegt,  und anhand derer erstmals eine kritische Auseinandersetzung mit dem Mandanten und seiner Einlassung stattfinden kann. Aus dieser Auseinandersetzung ergeben sich dann wichtige  Ansatzpunkte für die Verteidigung. Wie genau lautet der Tatvorwurf? Was sagt derMandant dazu? Wie ist das behauptete Geschehen rechtlich zu würdigen? Gibt es Entlastungsbeweise? Liegen Haftgründe vor? Können diese entkräftet oder wenigstens relativiert werden? Soll eine Freispruchverteidigung oder eine Strafmaßverteidigung erfolgen? Wo liegen die Chancen, wo die Risiken? Und welche Klaviatur der Verteidigung kann überhaupt mit dem Mandanten gespielt werden? Lässt sich der Mandant in eine brauchbare Verteidigungsstrategie einbinden? Ist er bereit und in der Lage, die Faktenlage zu realisieren und einen angemessenen Weg mitzugehen? Oder ist er – was nicht ganz selten ist – ein Traumtänzer, für den nur der Maximalerfolg gilt, auch wenn der gar nicht zu erreichen ist? Als Verteidiger ist da oft eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten, die nicht immer zum gewünschten Ergebnis führt.

Wenn mir alle zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage erforderlichen Erkenntnisse vorliegen, versuche ich, mit dem Mandanten eine Verteidigungsstrategie zu erarbeiten und realistische Verteidigungsziele zu definieren. Dazu gehört auch, eine „Best-Case-Betrachtung“ und eine „Worst-Case-Betrachtung“ anzustellen. Natürlich muss es Ziel einer jeden Verteidigung sein, möglichst nahe an den „best case“ heranzukommen und möglichst weit vom „worst case“ entfernt zu bleiben. Wenn letztlich ein Ergebnis erzielt wird, das bei vernünftiger Betrachtungsweise der Beweislage gerecht wird und in der Strafzumessung angemessen bleibt, dann definiere ich das für mich nicht als Niederlage. Je näher das Ergebnis am „best case“ liegt, um so eher kann die Verteidigung als Erfolg gewertet werden. Nicht ganz selten geht ein Urteil auch zum Positiven hin über die kühnsten Erwartungen hinaus, was durchaus ein Grund zum Feiern sein kann. Wobei das erst dann gilt, wenn Rechtskraft eingetreten ist, weil ansonsten im Rechtsmittelverfahren ja noch Alles kippen kann.

Manchmal ist mir in solchen Fällen aber auch nicht zum Feiern zumute, weil ich das Ergebnis selbst unangemessen finde und dabei durchaus auch an die Opferseite denke.

Bis zum vergangenen Wochenende durfte ich mich über den Verlauf des Jahres 2014 nicht beklagen. Bis dahin hatte ich nur ein Urteil kassiert, das ich als unangemessen empfunden habe. Das war das von mir mehrfach im strafblog erwähnte „Satudarah-Verfahren“. 

Am Freitag gab es aber eine richtige Klatsche. Das Landgericht Köln hat im Prozess gegen drei  Kosovo-Albaner und einen Mazedonier wegen versuchten Mordes gegen drei Angeklagte eine  in der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung streitige und – wie ich finde – im Strafmaß überharte Entscheidung  gefällt und ist dabei erheblich über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinausgegangen. Einmal siebeneinhalb Jahre, einmal 8 Jahre und 3 Monate sowie einmal 11 Jahre hat die Schwurgerichtkammer gegen die drei als Mittäter angesehenen Angeklagten verhängt und für diese Haftfortdauer beschlossen. Die Staatsanwaltschaft hatte für diese Angeklagten zweimal 6  Jahre und einmal 9 Jahre gefordert. Lediglich im Falle des vierten Angeklagten blieb das Gericht geringfügig unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängte wegen Beihilfe zum versuchten Mord eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten. In Anbetracht der schon mehr als ein Jahr andauernden Untersuchungshaft hat die Kammer gegen diesen vom Kollegen Felix Menke vertretenen Angeklagten den Haftbefehl aufgehoben.

Ich habe im strafblog über das Verfahren, in dem es um einen Racheakt mit Personenverwechslung geht, bereits mehrfach berichtet. Mehrere Personen sollen einem Mann, der zwei Wochen zuvor mit einem der Angeklagten in einen Streit um eine zugeparkte Garage verwickelt gewesen ist, aufgelauert und ihr Opfer sodann mit Schlagwerkzeugen massiv auf den Kopf und  den Körper geschlagen haben. Das Opfer, bei dem es sich um einen völlig unbeteiligten 61-jährigen Nachbarn gehandelt hat, welcher der Zielperson typmäßig ähnlich sah, hat schwere, lebensbedrohliche Verletzungen erlitten, die inzwischen aber – soweit es um die rein körperlichen Schäden geht – weitgehend ausgeheilt sind. Der Umfang der tatbedingten psychischen Schäden ließ sich im Stafverfahren nicht hinreichend sicher feststellen, weil bei dem Mann erhebliche psychische Vorbelastungen vorlagen.

Der Angeklagte, der zuvor in die Auseinandersetzung um die Garage verwickelt war, hat im Verfahren eingeräumt, gemeinsam mit anderen Personene Rachepläne geschmiedet zu haben. Mein Mandant sei allerdings nicht dabei gewesen.

Sein Kontrahent, der ihn vor der Garage angegriffen und verletzt hätte, habe lediglich „eine Abreibung“ erhalten sollen. Die Schlagwerkzeuge seien nur mitgenommen worden, um etwaigen Widerstand zu brechen, weil es sich bei dem Mann um einen erfahrenen Kampfsportler handelt. Keinesfalls hätte der Mann auf den Kopf geschlagen werden sollen. Das sei im Vorhinein ausdrücklich besprochen worden. Bei der eigentlichen Tatausführung sei offensichtlich ein Beteiligter durchgedreht und hätte in Abweichung von den zuvor getroffenen Absprachen massiv auf den Kopf geschlagen. Er selbst habe sich an der eigentlichen Tatausführung nicht beteiligt, da er nicht habe wiedererkannt werden wollen.

Ein Angeklagter – mein Mandant – hat eingeräumt, am Tatort anwesend gewesen zu sein. Dort war auch eine Zigarettenkippe mit seiner DNA gefunden worden. Er hätte aber nicht gewusst, was da ablaufen sollte. Er sei – was von Zeugen bestätigt wurde – reichlich angetrunken gewesen und von anderen Beteiligten mit zum Tatort genommen worden. Er sei in keine Vorplanungen involviert gewesen und eigentlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Nach Berechnungen eines Sachverständigen soll er zur Tatzeit eine BAK von bis zu 2,7 Promille gehabt haben.

Der dritte Angeklagte hatte angegeben, sich eher widerwillig zu einer Beteiligung bereit erklärt zu haben. Am Tatort hätte er dann aber Bedenken bekommen und sich schließlich vor dem eigentlichen Überfall entfernt. Er hätte aber – so die zeitweilige Einlassung – den anderen ein Zeichen weitergegeben, dass sich das Opfer dem Tatort nähere.

Der vierte Angeklagte hatte eingeräumt, trotz einiger Bedenken das Fluchtfahrzeug gesteuert zu haben. Er sei dabei  davon ausgegangen, dass das Opfer verprügelt werden sollte.

Die Kammer hat bei allen Angeklagten einen Eventualvorsatz bezüglich eines Tötungsdelikts bejaht. Auch wenn keine konkrete Vorstellung hierüber  bestanden haben mag, hätte ihnen doch klar sein müssen, dass mitgeführte Schlagwerkzeuge, darunter ein ca. 68 Zentimeter langes und zweieinhalb Zoll dickes Metallrohr, geeignet seien, bei Schlägen auf den Kopf tödliche Verletzungen hervorzurufen. Es sei davon auszugehen, dass das Opfer gleich zu Beginn des Überfalls mindestens sechs schwere Schläge auf den Kopf bekommen hätte. Auch wenn unklar sei, ob mehr als eine Person auf den Kopf geschlagen hätte, widerlege der festgestellte Tatablauf die behauptete Abrede, nur auf den Körper und die Gliedmaßen zu schlagen.

Es würde den Umfang des vorliegenden Beitrages sprengen, alle Erwägungen der Kammer aus der mündlichen Urteilsbegründung hier abzuhandeln. Sowohl im tatsächlichen als auch im rechtlichen Bereich gibt es viele Meinungsunterschiede zwischen Verteidigung und Gericht.

Die Kammer hat jedenfalls für alle Angeklagten das Mordmerkmal der Heimtücke und für den rachedurstigen Hauptangeklagten auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe bejaht. Dazu hat es bezüglich der drei Hauptangeklagten gleich drei Tatbestandsmerkmale einer gefährlichen Körperverletzung (gefährliches Werkzeug, gemeinschaftliche Begehungsweise, lebensgefährdende Behandlung) angenommen. Weder liege nicht ausschließbar ein Mittäterexzess vor, wie die Verteidigung geltend gemacht hatte, noch sei von einem Rücktritt vom Versuch auszugehen, auch wenn das Opfer noch teilweise aufgerichtet und erkennbar bei Bewusstsein war, als die Schläge eingestellt wurden.

Das Urteil ist für die Angeklagten und deren Familien ein Schock. Zwar hatten wir sie frühzeitig darauf eingestellt, dass mit einer Verurteilung zu rechnen sei. Die Kammer hatte dies während des Verfahrens mehrfach deutlich zu erkennen gegeben. Zwei Befangenheitsanträge gegen die Berufsrichter  waren zurückgewiesen worden. Gleichwohl hat auch uns Verteidiger die Härte des Strafausspruchs überrascht. Der  Hauptangeklagte sei nur haarscharf an einer lebenslangen Freiheitsstrafe vorbeigekommen, hat die Vorsitzende in ihrer Urteilsbegründung ausgeführt. Letztlich habe ihn nur das von dem Kollegen Meister vorgetragene Geständnis davor bewahrt.

Bezüglich meines Mandanten hat die Kammer zwar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit) zur Tatzeit bejaht. Von einer Strafrahmenverschiebung hat sie aber abgesehen, weil davon auszugehen sei, dass er schon im nüchternen Zustand zur Tatbeteiligung entschlossen gewesen sei.

Jetzt warten wir erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung ab. Es gibt potenziell viel Munition für ein Revisionsverfahren. Aber wir wissen auch, wie dünn das Eis beim BGH ist.

Zunächst einmal ist dieses Urteil natürlich als Niederlage anzusehen, die ob ihrer Dimension besonders weh tut. Das gilt in erster Linie für die Angeklagten und ihre Familien, aber auch für die Verteidigung. Man könnte meinen, zwei Niederlagen in einer langen Saison stellen keine schlechte Bilanz dar, aber anders als etwa im Fußball geht es im Strafprozess ja jedesmal um Einzelschicksale, für die der Verfahrensausgang lebensentscheidend sein kann. Dem Betroffenen nützt es verdammt wenig, wenn  man ihm zu erklären versucht, dass man ansonsten eine brauchbare Erfolgsbilanz vorzuweisen hat. Dafür kann er sich nichts kaufen.

Ein letztes Wort: Für das Tatopfer tut es mir wirklich leid. Es ist ein schrecklicher Gedanke, am Sonntagmorgen beim Brötchenholen nichts Böses ahnend überfallen und halb tot geschlagen zu werden.  Das habe ich im Prozess auch artikuliert. Ansonsten ist der Strafprozess aber dazu da, dass Tatgeschehen einschließlich der Motivlage aufzuarbeiten und Verantwortlichkeiten festzustellen. Als Verteidiger nehme ich im Verfahren ausschließlich die Interessen  meines Mandanten wahr. Das gilt erst Recht, wenn er – wie im vorliegenden Fall – seine eigene Verantwortlichkeit für das Tatgeschehen bestreitet. Ich hätte mir und vor allem meinem Mandanten und seiner Familie ein anderes Ergebnis gewünscht. Aber so ist es nun mal: You can´t win them all!


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