Kommentar zum Hamburger Piratenprozess: Harte Strafen für „Hungerhaken“?



Veröffentlicht am 28. Januar 2012 von

Wer die 71 Verhandlungstage vor dem Hamburger Landgericht gegen 10 mutmaßliche somalische Piraten regelmäßig verfolgt hat, wird frühzeitig bemerkt haben, dass keiner der Angeklagten zu den Köpfen oder Hintermännern der fast schon industriemäßig organisierten Piraterie am Horn von Afrika zählt. Während die wahren Profiteure dieses hochkriminellen Geschäfts irgendwo zwischen Mombasa, Dubai und London satt und sicher in komfortablen Häusern und Appartements wohnen und von dort über Satellitentelefone die gefährlichen Aktionen steuern, dürfte zumindest die Mehrzahl der Angeklagten von Hunger, Elend und Sorge um ihre Familien in dem von Terror und Bürgerkrieg geprägten Land zur Teilnahme an der Kaperung der MS Taipan getrieben worden sein. Zwei Angeklagte haben angegeben, sie seien mit Gewalt und unter Waffendrohung zur Teilnahme gezwungen worden, einer hat vorgetragen, er habe auf Betreiben eines Gläubigers mitgemacht, der schon seit mehr als einem Jahr seinen jüngsten Sohn gefangen halte und diesen nur dann an ihn zurückgeben wolle, wenn er dort seine Schulden nebst Zinsen bezahlt habe. Andere haben freimütig zugegeben, sich zur Tatbeteiligung entschlossen zu haben, weil ihnen Belohnungen zwischen ein paar hundert und ein paar tausend US-Dollar versprochen worden seien, ein für sie unvorstellbar großer Betrag, mit dem sie und ihre Familie dem Elend für eine längere Zeit entfliehen könnten.

Alle von den niederländischen Marines der Fregatte „Tromp“ festgenommenen Somalier waren ärmlich gekleidet und untergewichtig, richtige „Hungerhaken“, wie der Kapitän des gekaperten Frachters vor Gericht bekundete. Zwei in der Kombüse vorgefundene Pakete Butter und ein paar Liter Milch hätten die Piraten wohl erst einmal konsumiert, bevor sie sich auf die mühevolle Suche nach dem Safetyroom begeben hätten, in den sich die Besatzung des Schiffes zurückgezogen hatte.

Ganze vier Stunden hat die Mannschaft im Schutzraum ausharren müssen, bevor sie von den holländischen Einsatzkräften befreit wurde. Personenschaden ist bei der Kaperung nicht entstanden, sieht man von einem verstauchten Knöchel ab, den sich ein Soldat beim Abseilen aus dem Hubschrauber ohne Fremdeinwirkung zugezogen hat. Auch haben sich keine nennenswerten psychischen Schäden oder Traumata bei den Seeleuten feststellen lassen.
Unzweifelhaft handelt es sich bei dem Überfall auf die MS Taipan um eine erhebliche Straftat, die für Erwachsene nach deutschem Recht als räuberischer Angriff auf den Seeverkehr und erpresserischer Menschenraub mit einer Freiheitsstrafe zwischen 5 und 15 Jahren bedroht ist, falls sich kein minderschwerer Fall begründen lässt. Deutsches Recht wiederum ist anwendbar, weil die MS Taipan als Schiff der Reederei Komrowski zur Tatzeit in Hamburg registriert war und deshalb als deutsches Territorium gilt. Darüber hinaus lässt sich eine Zuständigkeit der Hamburger Justiz auch nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip begründen.

Weil drei Angeklagte nach den vorliegenden Altersbestimmungsgutachten als Jugendliche bzw. als Heranwachsende einzustufen sind, wurde die Hauptverhandlung vor einer Jugendkammer des Hamburger Landgerichts eröffnet. Man kann der Kammer und ihrem Vorsitzenden Dr. Steinmetz sicher nicht nachsagen, die Verhandlung ohne die gebotene Sorgfalt geführt zu haben. Im Gegenteil: Der Rechtsstaat wurde in extenso zelebriert. Drei Dolmetscher, welche die Kammer ihm Rahmen eines Castings als geeignet befunden hatte, standen dem Gericht,  den Angeklagten und der Verteidigung an allen Verhandlungstagen und auch bei Gefängnisbesuchen zur Verfügung. An 70 Tagen wurden zahlreiche Zeugen und Sachverständige, die sich nicht nur zum Tatgeschehen, sondern auch zur sozialen, politischen und ethnologischen Situation und zu den Ursachen der Piraterie äußerten, angehört, Videoaufzeichnungen und Fotos vom Tatgeschehen und zahlreiche Urkunden und Dokumente wurden in Augenschein genommen. Dass die Kammer zuletzt noch eine Reihe Beweisanträge einiger Verteidiger abgelehnt hat, ändert nichts an dieser Einschätzung, wird aber möglicherweise noch das Revisionsgericht beschäftigen.

Ganze 2 ¼ Stunden war der Staatsanwaltschaft, die während des gesamten Verfahrens bemerkenswert passiv agiert hat, sieht man von einigen unnötigen verbalen Scharmützeln mit der Verteidigung ab, die abschließende Würdigung des Verfahrens wert. So lange dauerte nämlich das von Oberstaatsanwältin Dr. Dopke langsam und merkwürdig emotionslos vom Papier abgelesene Plädoyer, welches in wahrhaft martialische Strafanträge mündete. Einmal 11 ½ Jahre Freiheitsstrafe, viermal 10 Jahre, einmal 8 und einmal 7 Jahre sollen die erwachsenen Angeklagten hinter Gitter, wenn es nach dem Willen der Anklagebehörde geht. Satte 5 ½ Jahre Jugendstrafe beantragte sie für die beiden Heranwachsenden und immerhin noch 4 Jahre für den einzigen als solchen anerkannten Jugendlichen. Die Strafzumessungserwägungen für die einzelnen Angeklagten dauerten teilweise nicht mehr als 3 Minuten.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer auch strafmildernde Gesichtspunkte gestreift. Als Verteidiger des jüngsten Angeklagten kann ich mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass dies eher pro forma geschah, um sich nicht dem – trotzdem berechtigten – Vorwurf der Einseitigkeit auszusetzen. Einseitig deshalb, weil die angeführten strafschärfenden Gesichtspunkte die konkreten Strafanträge überdeutlich prägen. Offensichtlich soll hier ein Exempel statuiert und der Weltöffentlichkeit unabhängig vom Maß der persönlichen Schuld der Angeklagten die Unnachgiebigkeit der deutschen Strafjustiz gegenüber Piraterieakten demonstriert werden.

Bei einer objektiven Höchststrafe von 15 Jahren stellt sich die Frage, welches Strafmaß denn beantragt worden wäre, wenn die Angeklagten nicht aus wirtschaftlicher Not, sondern aus bloßer Habgier gehandelt hätten. Oder wenn bei der Aktion Personenschaden entstanden wäre. Oder wenn die Entführung des Schiffes und der Besatzung erfolgreich gewesen wäre und wenn nach monatelanger Geiselnahme ein Lösegeld in Höhe von mehreren Millionen Dollar gezahlt worden wäre. Welche Strafe würde die Staatsanwaltschaft für die Hintermänner und Organisatoren beantragen, die das Elend von Menschen, wie es die Angeklagten sind, dazu ausnutzen, diese als Kanonenfutter für die Soldaten der Atalanta-Mission zu rekrutieren. Und was würde beantragt werden, wenn man den Hintermännern nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von erfolgreichen Kaperungen nachweisen könnte?

Die Anträge der Staatsanwaltschaft werden weder dem objektiven Unrechtsgehalt der Tat noch dem Maß der persönlichen Schuld eines jeden Angeklagten gerecht. Offensichtlich hat allein der Abschreckungsgedanke, im Juristendeutsch „Generalprävention“ genannt, das Strafmaß bestimmt. Aber seien wir doch mal ehrlich, wer kann denn glauben, dass auch nur ein einziger potenzieller Pirat in Somalia durch das Urteil eines deutschen Strafgerichts von der Beteiligung an einer Kaperung abgeschreckt wird? Zumeist ist es doch die pure Not, welche die Menschen dazu treibt, sich unter Einsatz ihres Lebens an einer solchen Aktion zu beteiligen. Wissen Sie eigentlich, dass die meisten somalischen Piraten Nichtschwimmer sind? Wenn ein nussschalengroßes Schnellboot, mit welchem die Piraten auf das zu kapernde Schiff, das sich viele Meter hoch aus dem Wasser türmt, zufahren, im Wellengang auf hoher See oder beim Anlegen an den Schiffsrumpf kentert, dann ist das Leben schnell vorbei. Nicht wenige Piraten sind auch bei den Militäreinsätzen der Atalanta-Mission ums Leben gekommen. Wer sich dennoch zum Mitmachen entschließt, den wird ein deutsches Strafurteil – falls er hiervon überhaupt je erfährt – nicht abschrecken können. Warum also diese überharten Strafanträge? Welcher Strafzweck soll damit erreicht werden?

Der Zeuge Eggers, als Kapitän der MS Taipan immerhin Tatopfer, zeigte in seiner Vernehmung mehr Großherzigkeit und Verständnis als die Staatsanwaltschaft. Er nahm die Entschuldigung meines Mandanten für seine Tatbeteiligung ausdrücklich an und äußerte sogar ein gewisses Verständnis für die Angeklagten. Man müsse die sozialen und politischen Bedingungen in Somalia verändern, wenn man der Piraterie Herr werden wolle. Recht hat der Mann.

Geradezu zynisch erscheint die Argumentation der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Höhe der beantragten Jugendstrafen begründet: „In beeindruckender Weise“ hätten die jungen Angeklagten dargelegt, unter welch elenden Bedingungen und mit welchen Erziehungsdefiziten sie aufgewachsen seien. Dies begründe die Notwendigkeit besonders erheblicher Jugendstrafen, damit erzieherisch auf sie eingewirkt werden könne. Das klingt nach zusätzlicher Bestrafung wegen schwerer Kindheit. Die Staatsanwaltschaft übersieht dabei, dass der Knast wohl der denkbar schlechteste Ort ist, Erziehungsdefizite aufzuarbeiten und dass sowohl die Jugendgerichtshilfe als auch der Gefängnispsychologe und Jugendpsychiater sich ausdrücklich für eine kurzfristige Haftentlassung ausgesprochen haben, um schwerwiegende psychische Schäden abzuwenden. Und „schädliche Neigungen“, welche neben der Schwere der Schuld ein Grund für die Verhängung von Jugendstrafe sein können, hat die Staatsanwaltschaft selbst nicht darzulegen vermocht.

Eine Hoffnung bleibt: Es ist nicht die Staatsanwaltschaft, die das Urteil fällt, sondern das Gericht. Vielleicht ist die Jugendkammer ja eher dazu bereit, die Beweisaufnahme umfassend auf sich wirken zu lassen und die Not der Angeklagten als Triebfeder für die Tatbeteiligung angemessen zu würdigen. Das wäre auch ein Akt von Menschlichkeit.

Die Verteidigung wird in ihren Plädoyers versuchen, entsprechende Anstöße zu geben.


Kategorie: Strafblog
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