Lebenslange Haft für ehemaligen Krankenpfleger – Zur Umgrenzungsfunktion der Anklage und warum zusätzlich gestandene Taten nicht abgeurteilt werden konnten



Veröffentlicht am 11. März 2015 von

2015-02-27_07-13-35Nach mehreren Verhandlungstagen hat das Landgericht Oldenburg einen ehemaligen Krankenpfleger des Klinikums Delmenhorst wegen zweifachen Mordes, zweifachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Infolge der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld scheidet eine Strafaussetzung zur Bewährung nach 15 Jahren aus.

Der wegen 5 Taten angeklagte Täter hatte in dem von großem Medienecho begleiteten Verfahren sogar 90 Übergriffe auf Patienten eingeräumt und  in diesem Zusammenhand die Verantwortung für 30 Todesfälle übernommen. Er gestand, dass es ihm einen „Kick“ versetzt hätte, durch die übermäßige Vergabe eines Herzmedikaments Komplikationen hervorzurufen und sich dann, nach erfolgter Wiederbelebung, als Retter darstellen zu können.

Aufgrund dieses Geständnisses wurden weitere Ermittlungen eingeleitet. Eine Sonderkommission der Polizei soll derzeit sogar über 200 Todesfälle untersuchen, die sich während der beruflichen Tätigkeit des Mannes am Klinikum Delmenhorst und dessen vorangegangenen Arbeitsplätzen ereignet haben.

Im aktuellen Verfahren vor dem Landgericht Oldenburg konnte der Mann „nur“ wegen der 5 angeklagten Taten, nicht aber wegen weiteren eingestandenen Taten verurteilt werden. Dem steht § 200 StPO entgegen. Die dort normierte Begrenzungsfunktion der Anklage gibt dem Gericht den Verfahrensstoff vor. Es darf nur wegen angeklagter Taten, nicht aber darüber hinaus verurteilt werden. Eine Ausnahme bildet die sog. „Nachtragsanklage(§ 266 StPO), die es ermöglicht, ein Verfahren auf weitere Straftaten eines Angeklagten zu erstrecken. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gericht sie durch Beschluss in das Verfahren einbezieht und der Angeklagte zustimmt. Vorliegend ist es nicht zu einer Nachtragsanklage gekommen. Angesichts der Vielzahl der weiteren eingeräumten Taten sowie des hierdurch bedingten Ermittlungsumfangs war dies jedoch auch nicht zu erwarten. Ein Geständnis stellt für sich genommen keine hinreichende Verurteilungsgrundlage dar, sondern muss durch valide Beweismittel abgestützt werden.

Nicht selten gibt es – gerade auch in spektakulären Angelegenheiten – Trittbrettfahrer, die sich aus purer Sensationsheischerei selbst einer Tat bezichtigen, die sie nicht begangen haben. So hatten sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehr als 200 Menschen als Entführer oder Mörder des zweijährigen Sohnes des legendären Atlantik-Überfliegers Charles Lindbergh bekannt. Bisweilen werden falsche Geständnisse auch abgegeben, um andere Personen zu schützen, oder weil dem Ermittlungsdruck der Strafverfolgungsbehörden resignativ oder um noch Schlimmeres zu vermeiden, nachgegeben wird. In den USA sind Studien zufolge rund 25 % der Fälle, in denen Verurteilungen aufgrund von DNA-Analysen später aufgehoben wurden, mitursächlich auf falsche Geständnisse zurückzuführen gewesen, wie Jennifer M. Schell und Harald Merckelbach in einem lesenswerten Beitrag mit dem Titel „Falsche Geständnisse: Warum unschuldige Menschen Verbrechen gestehen, die sie nicht begangen haben.“ beschrieben haben.

Im Fall des Oldenburger Krankenpflegers wird es daher mutmaßlich in geraumer Zeit einen weiteren Prozess geben, in dem dann auch die weiteren ermittelten bzw. noch zu ermittelnden Todesfälle zur Aburteilung anstehen. Mehr als die jetzt ausgesprochen lebenslange Freiheitsstrafe kann es allerdings nicht mehr geben. Das verhindert, wie der Kollege Rainer Pohlen in einem Strafblog-Beitrag mit dem Titel „Das reicht für etliche Reinkarnationen: Gericht verhängt 5 mal die Todesstrafe gegen einen Prostituiertenmörder“ schon einmal näher dargelegt hat, § 54 Abs. 1 StGB.


Kategorie: Strafblog
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