„Mal ganz ehrlich…“ , und: „Die Befragung der Zeugin durch die Verteidigung war Fortsetzung des Stalkings mit anderen Mitteln“



Veröffentlicht am 22. Mai 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Heute haben die Verteidigung und daran anschließend die Nebenklage im Mönchengladbacher Stalking-Prozess um eine Kriminalhauptkommissarin plädiert. Die Staatsanwaltschaft ist erst am 02.06. dran. Im Berufungsverfahren plädiert üblicherweise zuerst der Berufungsführer bzw. seine Vertretung. Wenn – wie im vorliegenden Fall – beide Seiten Berufung eingelegt haben, kann der Vorsitzende einer Seite das Wort erteilen oder die Beteiligten können sich darüber verständigen. Vorliegend habe ich zuerst plädiert, weil der Sitzungsstaatsanwalt erst kurzfristig ins Verfahren eingestiegen ist und nur beschränkte Kenntnis vom Verfahrensverlauf hat. Der Staatsanwalt, der den größten Teil der Sitzungen als Anklagevertreter absolviert hat, ist zwischenzeitlich nicht mehr bei der Behörde, sondern arbeitet wieder als Richter an einem benachbarten Amtsgericht.

Ich habe am heutigen 38. Verhandlungstag rund zweieinhalb Stunden plädiert und in allen Fällen Freispruch beantragt. Ich habe vor einigen Tagen im strafblog schon einen umfangreichen Beitrag zu der Sache geschrieben und kann im Wesentlichen darauf Bezug nehmen. Die dortigen Argumente habe ich wiederholt und in einigen Punkten ausgefeilt. Soweit meinem Mandanten in einem Fall Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen wurde, habe ich geltend gemacht, dass ihm die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Zeitpunkt der angeblich unerlaubten Fahrt nicht bekannt gewesen sei.

SAMSUNG CSCNach mir hat der Nebenklagevertreter plädiert. Der hat immerhin auch eine runde Stunde geredet und beantragt, die diesseitige Berufung, aber auch die Berufung der Staatsanwaltschaft, die zum Nachteil des Angeklagten eingelegt worden war, zu verwerfen. Seine Mandantin habe nach seiner Überzeugung in keinem Punkt die Unwahrheit gesagt, hat der Kollege vorgetragen. Es sei zwar zuzugeben, dass die Polizistin bisweilen variabel in ihrem Aussageverhalten gewesen sei und sich einige Male korrigiert habe. Das sei auf den langen Zeitablauf zurückzuführen und auch darauf, dass sie das schlimme Tatgeschehen verdrängen wolle. Mit den Worten  „mal ehrlich…“ hat der Kollege etliche Passagen seines Vortrages eingeleitet, ein oder zwei mal hat er auch „mal ganz ehrlich“ gesagt. Ich grübele gerade darüber nach, ob man hieraus die Schlussfolgerung ziehen muss, dass der übrige Vortag weniger ehrlich war. Manchmal lassen auch scheinbar nichtssagende Floskeln und Füllwörter gewisse Rückschlüsse zu. Aber o.k., da fragen wir besser mal einen Psychologen.

Der Nebenklagevertreter hat sich nach meinem Dafürhalten  nur sehr teilweise mit den Argumenten der Verteidigung auseinandergesetzt und viele kritische Punkte ausgespart. Das ist sein gutes Recht. Manchmal ist das auch besser, wenn man keine brauchbaren Gegenargumente hat. Mir hat er in seinen Ausführungen Ähnliches vorgeworfen. Die Verteidigung habe sich an seiner Mandantin „abgearbeitet“, hat der Kollege gesagt. Die Befragung der Frau sei „die Fortsetzung des Stalkings mit anderen Mitteln“ gewesen, hat er ergänzend ausgeführt. Jetzt sorge ich mich etwas, ob auf die Verteidigung eventuell ein Verfahren wegen sukzessiver Mittäterschaft zukommen könnte, falls das Gericht die Nachstellung als erwiesen ansehen sollte. Vielleicht hätten wir besser unsere Zungen hüten und die Zeugin schonen sollen. Jetzt haben wir den Salat!

Der von mir als Fake qualifizierte Ablaufkalender sei authentisch, hat der Nebenklagevertreter gesagt. Das könne man ehrlich gesagt nicht anders sehen. Dass die Kammer das in einem schriftlich erteilten rechtlichen und tatsächlichen Hinweis doch schon einmal anders gesehen hat, schien ihn nicht sonderlich zu stören. Er könne selbst nicht sagen, wo der in seiner Kanzlei abhanden gekommene Ablaufkalender verblieben sei. Eigentlich sei dort noch nie etwas weggekommen. Vielleicht sei er ja doch irgendwie zur Staatsanwaltschaft gekommen und dort verschwunden, hat er räsoniert.

Der Kollege hat noch einmal betont, dass seine Mandantin ihrem angeklagten Ex-Lebensgefährten nichts Böses wolle. Der solle sein Leben leben und sie nur in Ruhe lassen.  Das hatte er während der inzwischen fast genau ein Jahr andauernden Hauptverhandlung  mehrfach betont. Zweimal hat er kurz darauf im Namen seiner Mandantin Beschwerde gegen Haftbeschlüsse eingelegt, mit denen der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt bzw. aufgehoben worden war. Frei nach dem Motto: „Ist doch besser für ihn, wenn er noch eine Zeit lang hinter Gittern nachdenken kann.“  So sieht das eine Kriminalhauptkommissarin, wenn sie dem Anderen nichts Böses will. Menschen haben halt unterschiedliche Betrachtungsweisen…

Mal sehen, wie´s weitergeht.


Kategorie: Strafblog
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