Es war am Amtsgericht Nettetal, wo gestern eines dieser merkwürdigen Verfahren stattfand, die eigentlich nach Freispruch riechen und in denen man sich dann letztlich doch mit einer Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldauflage zufrieden gibt. Wobei ja klar ist, dass man da als Verteidiger eine andere Perspektive hat als das Gericht oder die Staatsanwaltschaft.
Der Sachverhalt ist easy: Der Angeklagte, ein bislang nicht vorbestrafter Mitbürger mit einem führenden Job in einem renommierten Unternehmen, hatte in Venlo/Niederlande seinen dort seit langem lebenden Bruder besucht. Auf dem Rückweg kreuzte – so jedenfalls seine Einlassung – in der Nähe des Bahnhofs ein ehemaliger guter Bekannter, den er schon jahrelang nicht gesehen hatte, seinen Weg. Der wiederum war in Begleitung eines weiteren Mannes, den er nicht kannte. Im Vorbeifahren erkannten sich die beiden, der Angeklagte hielt an, stieg aus, es gab ein großes Hallo, beiderseitige Wiedersehensfreude, und dann fragte der alte Bekannte, ob er ihn und seinen Freund nicht mit in Richtung Heimat nehmen könne, dann spare man die Zugfahrt und könne sich noch ein wenig unterhalten. Gesagt, getan, alles ganz unproblematisch, wenn da nicht der Zoll gewesen wäre, der den Angeklagten kurz hinter der Grenze anhielt. Und das Unglück wollte es, dass einer der Zöllner ein feines Näschen hatte, und deshalb meinte er, Cannabisgeruch zu vernehmen, als er an das geöffnete Fenster trat. So etwas aber auch! Die drei Fahrzeuginsassen mussten ihre Taschen leeren und – welche Überraschung – die beiden zugestiegenen Mitfahrer hatten jeweils kleine Eigenkonsummengen an Marihuana dabei. Hiervon wisse er gar nichts, meinte der Angeklagte sofort, als er mit dieser Entdeckung konfrontiert wurde, im Gegenteil, er habe die beiden Mitfahrer vor Fahrtantritt ausdrücklich gefragt, ob diese auch nichts dabei hätten, was ihm Schwierigkeiten bereiten könnte. Das hätten sie vehement verneint.
Die getrennt befragten Mitfahrer bestätigten das. Sie seien vor ihrem Einkauf noch in einem Coffeeshop gewesen, na ja, und dort hätte sie halt einen Joint geraucht und sich auch noch ein bisschen Proviant mitgenommen. Davon hätte der Fahrer aber nichts gewusst. Man bindet ja nicht jedem Alles auf die Nase …
Trotzdem war gegen den Fahrer, also gegen meinen Mandanten, ein Strafbefehl wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln erlassen worden. Und weil ich hiergegen für den Mann Einspruch eingelegt hatte, musste darüber verhandelt werden.
Der Staatsanwalt sprach, nachdem er die Einlassung meines Mandanten gehört hatte, von „dolus eventualis“. Mein Mandant hätte es zumindest billigend in Kauf genommen, dass die beiden Männer Rauschmittel dabei hatten. Immerhin hätten diese nach aktenkundiger Angabe der Zollbeamten ja auch nach Cannabis gerochen. „Ich habe nichts gerochen“, meinte mein Mandant, „es war warm, ich hatte die Fenster und das Schiebedach geöffnet, mir ist nichts aufgefallen!“
„Ihre Einlassung ist nicht ungeschickt“, meinte der Staatsanwalt, „ich biete Ihnen eine Einstellung gem. § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 500 Euro an!“ Dabei verwies er darauf, dass der Angeklagte vor einem guten Jahr schon einmal mit einem Beifahrer im Auto angehalten worden war, der ebenfalls ein paar Gramm Cannabis mitgeführt hatte. Damals war das Verfahren ohne eine Geldauflage eingestellt worden. „Gerade wegen dieser Erfahrung hat mein Mandant ja diesmal ausdrücklich gefragt, ob die beiden Mitfahrer auch nichts dabei hätten, was ihm Probleme machen könnte“, intervenierte ich. Und im Übrigen wäre es ja nicht mal verboten, jemanden mit über die Grenze zu nehmen, von dem man vielleicht sogar vermutet, dass er zuvor in einem Coffeeshop war und Cannabis konsumiert hat. Das bedeute ja noch nicht, dass diese Person auch Rauschgift mit über die Grenze nehmen wolle. Schließlich könne man ja nicht mehr tun als fragen. Mein Mandant hätte bei den Mitfahrern ja schlecht eine Leibesvisitation durchführen können, und konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die beiden ihn belügen, hätte er schlichtweg nicht gehabt.
„Deshalb biete ich ja die Einstellung an“, meinte der Staatsanwalt, „mir ist klar, dass das auch auf einen Freispruch hinauslaufen kann. Und Verteidiger haben ja lieber einen Freispruch, das verstehe ich durchaus. Allerdings müssten wir dann heute auf jeden Fall unterbrechen und einen Fortsetzungstermin bestimmen, zu dem dann auch die beiden Zollbeamten und der heute nicht erschienene zweite Beifahrer kommen müssten. Sollte Letzterer wieder nicht kommen, müsste er vielleicht zu einem 3. Termin vorgeführt werden.“ Ungesagt, aber für alle deutlich sichtbar im Raum hingen die Worte: “Eine Einstellung gegen Zahlung von 500 Euro ist allemal billiger als ein unsicherer Freispruch mit einem teuren Verteidiger nach 3 Verhandlungstagen. Und es könnte ja auch anders kommen…“
Der Richter wies noch darauf hin, dass man den Verfahrensausgang vor Anhörung der Zeugen nicht sicher prognostizieren könne. Und falls es zu einer Verurteilung komme, werde diese sicher deutlich teurer werden als der Strafbefehlsausspruch, weil der Angeklagte ein wesentlich höheres Einkommen habe, als dort angenommen wurde. Und außerdem tendiere er dazu, die Mitnahme der beiden Beifahrer in diesem Fall nicht nur als Beihilfe, sondern als mittäterschaftliches Handeln zu qualifizieren. Das werde dann vermutlich auch die Zahl der Tagessätze erhöhen.
Ich kenne solche Verfahren vor dem Nettetaler Amtsgericht, auch wenn ich dort in den letzten Jahren nur selten aufgeschlagen bin. Das überlasse ich zumeist unseren jüngeren Kollegen. Ich weiß nur, dass ich in der Vergangenheit zumeist Erfolg hatte, wenn ich bzw. mein Mandant mit einem Urteil nicht einverstanden war und deshalb Rechtsmittel eingelegt wurde. Aber das kostet Zeit und Geld. Und ein gewisser Unsicherheitsfaktor kann nicht geleugnet werden. Wir wissen ja, vor Gericht und auf hoher See …
Wir haben das Angebot der Staatsanwaltschaft letztlich angenommen. Stimmt ja, dass es sonst auch im Freispruchsfall vermutlich teurer geworden wäre. Ich hatte zuvor noch versucht, die 500 Euro ein wenig herunter zu handeln, aber das stieß auf taube Ohren. Schließlich ist man vor Gericht ja nicht auf einem Basar…
Obwohl …
Einen Trost hatte der Staatsanwalt noch: „Wenn Sie wirklich nichts davon gewusst haben, dann können Sie sich die 500 Euro und ihre Anwaltskosten ja von ihren Beifahrern zurückholen. Dann war das Ganze für Sie ein Nullsummenspiel.“
Ich liebe solche Realsatire. Und solch einen Umgang mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“.
Mein Mandant war mit dem Ergebnis der Verhandlung durchaus zufrieden. Der Zeuge hat mir vor dem Gerichtsgebäude noch gesagt, dass er sich an den Kosten beteiligen werde. Schließlich hätte mein Mandant ja wirklich nichts gewusst.
Mir ist glatt ein Stein vom Herzen gefallen. Jetzt wird doch noch ein kleines Stück Gerechtigkeit hergestellt… oder?
Kategorie: Strafblog
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