Mandant in der Kanzlei eingesperrt – „Ich will da aber nicht übernachten“



Veröffentlicht am 19. September 2013 von

Rezeptionsbereich der Kanzlei Pohlen + Meister

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Ungewöhnlich früh, nämlich um kurz nach 18 Uhr, habe ich gestern die Kanzlei verlassen, weil ich noch auswärts mit einem Mandanten verabredet war. Mit dem saß ich dann in einem Café, als gegen 19 Uhr mein Handy klingelte. „Kanzlei“ las ich im Display und war überrascht, weil ich – zumindest glaubte ich das – als Letzter das Office verlassen und zuvor noch alle Lichter ausgemacht hatte. Nur in unserem Referendarzimmer hatte ich nicht mehr nachgeschaut, die drei derzeit bei uns tätigen Referendare waren schon am Nachmittag nachhause gegangen. „Kowalski“ (Name geändert) meldete sich eine Stimme, „Sie sind sicher erstaunt, dass ich Sie von Ihrer Kanzlei aus anrufe.“

Kowalski ist ein Mandant, den ich in einer opulenten Wirtschaftsstrafsache vertrete, ein früherer Ministerialbeamter, der im Zusammenhang mit der Verwendung von Stiftungsgeldern unter – aus meiner Sicht unberechtigten – Verdacht geraten ist.  „Sie haben mich eingeschlossen“, meinte der Mann freundlich, „aber ich habe nicht unbedingt vor, in Ihrer Kanzlei zu übernachten!“. Das konnte ich durchaus verstehen, wir haben ja nicht einmal eine Couch oder ein sonstiges bequemes Möbelstück herumstehen, auf dem man sich ausstrecken könnte. Und der Fußboden ist doch ein wenig hart.

Ich erinnerte mich: Am frühen Nachmittag hatte mich eine Mitarbeiterin gefragt, ob Herr Kowalski vorbeikommen könne, um einen Blick in die umfangreichen Akten zu werfen. Das hatte ich bejaht und gesagt, er könne sich mit den Akten in die Bibliothek setzen. Die war dann aber wohl anderweitig belegt, deshalb hatte sie ihn in das zu diesem Zeitpunkt freie Referendarzimmer platziert. Und da  war er stundenlang sitzen geblieben, bis wir alle die Kanzlei verlassen hatten.

Ich habe mein Mandantengespräch unterbrochen und bin zur Kanzlei gefahren, um den Mann zu befreien. Unterwegs habe ich noch gedacht, dass es gottlob Kowalski und kein anderer, weniger verlässlicher Mandant war, der da eingesperrt worden war. Schließlich darf es nicht sein, dass da jemand unbefugt im Büro herumstöbert, und als Strafverteidiger haben wir es nicht ausschließlich mit ehrlichen und seriösen Menschen zu tun. Das liegt in der Natur der Sache.

Kowalski hatte sich in Wartezimmer gesetzt und brav gewartet, bis ich ihn befreit habe. Wir haben noch ein paar nette Worte getauscht, dann sind wir jeweils wieder unserer Wege gezogen. Beim nächsten Mal werde ich auch ins Referendarzimmer schauen, wenn ich als Letzter die Kanzlei verlasse, habe ich mir vorgenommen.

 


Kategorie: Strafblog
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