Materialermüdung im Schlussspurt des Piratenprozesses – Eine zerrissene Hose und viel Kritik an Gericht und Staatsanwaltschaft



Veröffentlicht am 16. Oktober 2012 von

Jetzt geht es wohl tatsächlich zu Ende mit dem Hamburger Piratenprozess. Morgen kommen noch die beiden letzten Plädoyers, darunter auch meines, dann haben die 10 Angeklagten das letzte Wort. Am Freitag soll dann das Urteil verkündet werden in diesem wahrhaft historischen Verfahren, das – soviel kann man schon jetzt sagen – mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben wird. Egal, was dabei herauskommt, das Problem der Piraterie am Horn von Afrika wird durch ein deutsches Strafurteil nicht gelöst werden, und es wird die Frage offen bleiben, wie zukünftig in vergleichbaren Fällen verfahren werden soll. Aber dazu werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch meine Gedanken kundtun.

In der gestrigen Hauptverhandlung meldete sich zunächst der Angeklagte Khalief D. zu Wort, an dessen Befindlichkeitsstörungen die beiden letzten Verhandlungstage gescheitert waren. Er entschuldige sich für sein Verhalten, meinte der Mann und gab dann sehr fadenscheinige Erklärungen ab, mit denen er sein widersprüchliches  Aussageverhalten zu Familiennamen, Telefonnummern und zur angeblichen Ermordung seines Bruders aufgrund der Presseberichterstattung über den Prozess zu erklären versuchte. Ich hatte darüber im strafblog berichtet. Ein untauglicher Rettungsversuch, darüber waren sich zumindest die Verteidiger der anderen Angeklagten und die Pressebeoachter, mit denen ich danach gesprochen habe, einig.

Anders wollte das allerdings die Staatsanwaltschaft sehen. Nachdem die Beweisaufnahme erneut geschlossen worden war, bezog sich Oberstaatsanwalt Giesch-Ralf auf die bisherigen Schlussvorträge und meinte in seinem Zwei-Minuten-Plädoyer apodiktisch, mit seiner heutigen Erklärung habe Kahlief D. die „Unstimmigkeiten“ ausgeräumt. Er bleibe daher bei seinen Strafanträgen.

Nicht nur bei den Verteidigern der beiden Angeklagten, die maßgeblich von Khalief D. belastet worden war, löste dieses Statement Unverständnis und Empörung aus. Schlimmer geht´s nimmer, könnte man meinen, die Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ demonstriert- wie schon in ihren vorangegangenen Plädoyers –  absolut niedriges Niveau.

Das wurde in den nachfolgenden 5 Verteidigerplädoyers dann auch nachdrücklich kritisiert. Die Hamburger Kollegin Gabi Heinecke, die den von Khalief D. am meisten belasteten Angeklagten vertritt,  sprach von einer Ungeheuerlichkeit. Die Dortmunder Kollegen Broegeler und Heinz machten für ihren Mandanten aufgrund der Gesamtumstände einen minderschweren Fall des räuberischen Angriffs auf den Seeverkehr und des versuchten erpresserischen Menschenraubs geltend und beantragten 4 Jahre Freiheitsstrafe, der Frankfurter Kollege Wallasch, der den ältesten Angeklagten verteidigt, beantragte Freispruch, da sein Mandant unwiderlegbar zur Teilnahme an dem Piraterieakt gezwungen worden sei. Wallasch warf dem Gericht vor, in diesem Verfahren „nicht über den Tellerrand geschaut“ zu haben und sämtliche Beweisanträge, die der Entlastung seines Mandanten gedient hätten, mit formalen Begründungen abgelehnt zu haben. Das Gericht habe von Beginn an demonstriert, dass man der Einlassung sowieso nicht glauben wolle. Entgegen seiner früheren Auffassung sei er aufgrund der nun gemachten Erfahrungen der Ansicht, dass solche Prozesse nicht nach Deutschland gehörten, sondern jedenfalls vor Ort entschieden werden sollten.

Wie gesagt, morgen sind dann der Kollege Blumenstein und ich an der Reihe, dann folgt das letzte Wort der Angeklagten. Jedenfalls das letzte Wort in dieser Instanz. Denn rechtskräftig wird das Urteil, egal wie es ausfällt, sicher nicht.

Das Verfahren hat alle Beteiligten zumindest ein wenig an ihre Grenzen gebracht. Nach 103 Verhandlungstagen ist eine gewisse Ermüdung eingetreten, die anscheinend auch vor dem Material nicht Halt macht. In einer Sitzungspause machte mich ein Journalist darauf aufmerksam, dass meine Hose zerrissen sei. „Hinten links“, meinte er, als ich ihn fragend anschaute, und als ich mit der Hand nachfühlte, stelle ich einen opulenten Riss fest, der sich quer über die Hälfte meines Gesäßes erstreckte. Als ich morgens ins Flugzeug nach Hamburg stieg, war der noch nicht da, bin ich mir ziemlich sicher, der muss wohl bei den Sitz- und Aufstehübungen im Gericht entstanden sein. Die Mittagspause habe ich dazu genutzt, mir ein neues Beinkleid zu besorgen, damit man nicht meint, ich wolle als Reaktion auf das Verfahren demonstrativ meinen Allerwertesten zeigen. So ist es ja auch nicht. Obwohl, wenn ich an die Plädoyers der Staatsanwaltschaft denke ….

 

 


Kategorie: Strafblog
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