Mit Steinmetz auf Freilassung angestoßen: Junge Piraten wollen keine Piraten mehr sein – Freude pur und ein guter Tropfen



Veröffentlicht am 15. April 2012 von

 

Seit 16 Monaten und mehr als 80 langen  Verhandlungs- tagen sitzen Abdiwali und die anderen 9 angeklagten mutmaßlichen somalischen Piraten jetzt im Sitzungssaal 337 des Hamburger Landgerichts der für sie zuständigen Jugendkammer unter dem Vorsitz von Dr. Bernd Steinmetz gegenüber. Es geht um den Überfall auf den deutschen Frachter MS Taipan vor zwei Jahren am Horn von Afrika. Das ursprünglich auf vier Monate terminierte Verfahren will nicht zu Ende kommen.

Die Kammer hat am vergangenen Freitag eine aus meiner Sicht längst fällige Konsequenz gezogen und die drei dem Jugendrecht unterfallenden Angeklagten, darunter auch „meinen Piraten“, unter Aufhebung der Haftbefehle freigelassen. Bei pohlen-meister.de und strafblog.tv haben wir darüber berichtet.

Gestern war der erste volle Tag der neuen Freiheit und ich hatte Gelegenheit, mit  meinem Mandanten ein paar Stunden zu verbringen und ihm ein kleines Stück Hamburg zu zeigen. Es fällt schwer, die Freude und das fast ehrfurchtsvolle Erstaunen des jungen Mannes zu beschreiben, der Deutschland und Europa bisher nur aus dem Fernsehen und ansonsten aus der beengten Welt der Haftanstalten, des Gefangenentransporters, des Eppendorfer Klinikums und des Gerichtssaales kannte. „Ich werde Alles tun, um nie  mehr zurück ins Gefängnis zu müssen, ich werde dich, Herr Pohlen, und Dr. Steinmetz nicht enttäuschen“, versichert er strahlend ein ums andere Mal, und dabei gleiten seine glänzenden Augen über die Prachtvillen an der Elbchaussee, über die Lastkräne am Hafen, über die Glasfassaden der Kaufhäuser und über die Menschen in den Straßencafes, die den Sonnenschein genießen. Eine völlig neue Welt tut sich da ganz realiter vor ihm auf, die sich in fast schon grotesker Weise von all der Zerstörung und dem Elend in Mogadischu, Kismayo und den anderen somalischen Städten, die er bislang kennengelernt hat, unterscheidet. Abdiwali registriert, dass keine schwer bewaffneten Wachleute vor den Kaufhäusern patroullieren, dass die Menschen sich scheinbar acht- und sorglos durch die Straßen bewegen und dass hier niemand Angst vor Al-Shabab-Milizen oder bewaffneten Straßenräubern hat. „Eure Welt ist ein Wunder“, höre ich ihn sagen, und mein Herz purzelt ein ums andere Mal vor Freude über seinen Unter-dem-Tannenbaum-Weihnachts-Kinderblick.

Abdiwali ist mir in den letzten eineinhalb Jahren mehr ans Herz gewachsen, als ich das normalerweise bei Mandanten zulasse. Eine gewisse professionelle Distanz zum Auftraggeber ist oft wichtig, um einen Fall sachgerecht bearbeiten zu können. Andererseits braucht man als Strafverteidiger neben aller Erfahrung und allem Fachwissen aber auch ein gehöriges Maß an Empathie, um den Mandanten verstehen und seine Tat nachvollziehen zu können und die gewonnenen Erkenntnisse vielleicht auch dem Gericht zu vermitteln.

Als ich  den jungen Somalier im vorletzten Jahr erstmals in der JVA Hahnöfersand traf, wirkte er ängstlich und unsicher, schaute mich kaum einmal direkt an, senkte den Kopf beim Gespräch und war voller Misstrauen. Mit der Zeit hat sich das geändert. Immer öfter sah ich ihn lachen, er begrüßte mich mit Handschlag und sah mir dabei  offen ins Gesicht.  Er hatte begriffen, dass Dr. Steinmetz nicht sein Scharfrichter ist und dass ihm keine Todesstrafe droht. Jetzt schämt er sich, dass er bei dem Piraterieakt mitgemacht hat, heute würde er das gewiss nicht mehr tun. Er hat sich beim Kapitän der MS Taipan für seine Tat entschuldigt, und Kapitän Eggers hat die Entschuldigung nicht ungerührt angenommen. Der alte Seebär versteht vielleicht besser als alle Berufsjuristen, auf welchem Boden des Elends die Piraterie gewachsen ist und dass manch ein Pirat unter anderen Bedingungen ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft geworden wäre. (Vielleicht ja auch Richter oder Staatsanwalt, wer weiß das schon.) „Ich bin ein Tumaal“, hat mein Mandant vor Gericht gesagt, „mein Stamm ist in Somalia weniger wert als Hunde, und wenn ein Hawiye oder ein Darod mir eine Aufgabe gibt, dann sage ich nicht nein. Das war schon immer so.“ Und deshalb hat er mitgemacht bei der Aktion und auch, weil man ihm, der morgens oft nicht wusste, ob er abends noch leben würde und ob er mit vollem oder mit leerem Magen schlafen gehen würde, ein paar hundert Dollar versprochen hatte, für ihn eine unvorstellbare große Menge Geld. Damit hätte er seine notleidende Familie eine lange Zeit unterstützen können.

Abdiwali weiß heute, dass man auch aus der Not heraus keine fremden Menschen, die einem nichts getan haben, angreifen und mit dem Tode bedrohen darf. Aus sich heraus hätte er das ja auch nie getan, sagt er, aber er hat mitgemacht. Das wirft er sich vor. Die lange Haft hat an ihm gezehrt. Vor allem die Ungewissheit darüber, was werden soll. Manchmal habe ich ihn auch ganz verzweifelt erlebt, da wollte er am liebsten tot sein. Gemeinsam mit meinem Mitverteidiger Markus Blumenstein habe ich dann versucht, ihn wieder aufzurichten.

„Ich werde nie mehr etwas Verbotenes tun“, sagt er mit der Inbrunst der Überzeugung, und wer ihn dabei ansieht, der möchte es gerne glauben. Aber jetzt gilt es erst einmal, das Leben in Freiheit in einer Überflussgesellschaft kennenzulernen und auch den vielfältigen Verlockungen widerstehen zu lernen. Das ist die Sorge, die das Gericht hat und die Dr. Steinmetz nach Aufhebung des Haftbefehls noch einmal deutlich  artikuliert hat. Ich kann diese Sorge durchaus verstehen, Freiheit will erst einmal gelernt sein. Soweit mir dies möglich ist, will ich Abdiwali gerne dabei helfen. Und die Jugendhilfeeinrichtung, in der er zusammen mit den beiden anderen freigelassenen Somaliern vorläufig untergebracht ist, wird das ihrige dazu beitragen, den 3 jungen Leuten den Weg in die Zukunft zu ebnen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ sagt der Junge auf Deutsch, „ich bin dankbar, dass ihr das möglich macht“.   Alle drei aus  der Haft entlassenen jungen Somalier betonen, dass sie versuchen wollen, in Deutschland ein ganz normals Leben zu leben. Sie wollen als Menschen, nicht als Piraten wahrgenommen werden. Und sie wären wohl auch niemals Piraten geworden, wenn sie unter anderen Umständen aufgewachsen wären. Das Leben verteilt die Karten ungerecht, das sollten wir alle – auch das Gericht und die Staatsanwaltschaft – nie vergessen.

Und dann haben wir noch mit Steinmetz auf die Freilassung angestoßen. Ein netter Mensch mit Sinn für Humor hatte eine Flasche Cremant besorgt, und die drückte Abdiwali mir freudestrahlend in die Hand. Ich solle auf das Etikett schauen, bedeutete er mir, und ich las: „Stephan Steinmetz, Elbling Cremant“. Und weiter: Dieser Sekt besteht aus 100 % Leidenschaft.

Also haben wir mit Steinmetz das Glas auf Abdiwali erhoben. Ohne Abdiwali, der trinkt keinen Alkohol.

 


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