In Dario Fo´s Farce „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ geht es um einen psychisch auffälligen Störenfried, der anlässlich seiner Vernehmung aus dem Fenster der Polizeistation stürzt und verstirbt. Nach offizieller Polizeiversion ein eindeutiger Selbstmord, aber Zweifel sind angebracht. Die beteiligten Polizeibeamten verstricken sich in Widersprüche, es kommt heraus, wie der angebliche Selbstmörder sie zuvor auf die Schippe genommen und an den Rand der Wahrheit und Selbsterkenntnis getrieben hat, womit die Staatsmacht so ihre Schwierigkeiten hatte. Es entwickelt sich ein reichlich groteskes Vertuschungsspektakel, wie es wohl niemand besser und entlarvender entwickeln konnte, als der italienische Literaturnobelpreisträger, der in den 70er Jahren mit seinen politischen Komödien und Parabeln ganze Stadien füllen konnte. Ich war damals (und bin immer noch) ein großer Fan von Dario Fo.
Gestern ist es, wie spiegel-online berichtet, vor dem Hamelner Amtsgericht zu Tumulten gekommen, nachdem ein 26-jähriger Mann, der tags zuvor eine Tankstelle überfallen haben soll, anlässlich seiner Vorführung beim Haftrichter im 7. Stock des Gerichtsgebäudes aus dem Fenster gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben war. Es ist noch unklar, wie es zu dem Sturz gekommen ist. Angeblich habe der Mann mit seinem Anwalt sprechen wollen. Die Vorführbeamten seien, so heißt es, ein wenig auf Abstand gegangen, um ein ungestörtes Verteidigergespräch zu ermöglichen. In einem unbeobachteten Augenblick sei der Mann dann, wohl um zu flüchten, aus dem Fenster geklettert und abgestürzt.
Nach dem Abtransport des Mannes ins Krankenhaus soll es zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des Toten, die zum Gerichtsgebäude gekommen waren, und Polizeibeamten gekommen sein. Zahlreiche Verletzte habe es gegeben, darunter 12 Polizisten. Diese seien von den rund 30 Angehörigen mit Pflastersteinen attackiert worden. Beide Seiten hätten auch Pfefferspray eingesetzt. Die Angehörigen, so ist zu lesen, hätten vergeblich verlangt, den Leichnam besichtigen zu dürfen. An einen Fluchtversuch glaubten sie nicht, sollen sie geäußert haben. Hamelns Landrat Tjark Bartels habe von einer „Tragödie“ und einer „schrecklichen Gewalteskalation“ gesprochen, heißt es in dem Beitrag. Er habe sein Entsetzen über die „hemmungslose Gewalt“ geäußert, die gegenüber den zu Hilfe eilenden Polizisten und Sanitätern ausgeübt worden sei.
Es ist wohl anzunehmen, dass das Ganze noch ein nicht unbeträchtliches strafrechtliches Nachspiel haben wird, nachdem der Tankstellenüberfall nicht mehr geahndet werden kann. Gegen Tote werden Verfahren bekanntlich nicht weitergeführt.
Nachsatz:
Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe keinen Anlass zu der Vermutung, der 26-Jährige könnte von den Vorführbeamten aus dem Fenster gestoßen worden sein. Mich hat der Fall nur wegen des äußeren Ablaufs an Dario Fo´s herrliche Parabel erinnert.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Mutmaßlicher Bankräuber stirbt nach Fenstersturz aus dem Gericht – Randale zwischen Angehörigen und der Polizei mit etlichen Verletzten
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