Neues aus Absurdistan: Haftbefehl bleibt aufrecht erhalten



Veröffentlicht am 5. März 2012 von

Jeder Strafverteidiger weiß aus leidgeprüfter Erfahrung, dass das Haftrecht im justiziellen Alltag allzu oft nur wenig mit den hehren Grundsätzen von Freiheitsrechten, Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeitsprinzip zu tun hat und dass Grundrechte für manchen Haftrichter zur beliebigen Dispositionsmasse verkommen zu sein scheinen. Trefflich hat das mal ein Mönchengladbacher Haftrichter vor vielen Jahren formuliert, als er einem von mir gestellten Haftprüfungsantrag Folgendes entgegenhielt: „Herr Verteidiger, haben Sie das immer noch nicht kapiert, ich bin Haftrichter, nicht Enthaftrichter!“  Der Mann hat sich später – was aber nicht unbedingt etwas mit seiner Grundhaltung zum Ver- und Enthaften zu tun haben muss – mit seiner Dienstpistole erschossen, nachdem er zuvor mit derselben Waffe auch seine Mutter getötet hatte. Das hat damals sogar in der BILD gestanden.

Menschenwürde

Jetzt aber zum konkreten Fall: Ich hatte im strafblog am 7. Februar von einer überraschenden Saalverhaftung im Augsburger Landgericht  berichtet. Die Mandantin war in Kenntnis diverser gegen sie laufender Verfahren von Mallorca aus, wo sie mit ihrer Familie lebte, zu einer Berufungsverhandlung nach Augsburg angereist, was ich zuvor schon schriftlich angekündigt hatte. Nach der Verhandlung war sie in anderer – ebenfalls aber bereits bekannter – Angelegenheit aufgrund eines vom Augsburger Amtsgericht ausgestellten Haftbefehls festgenommen und der Haftrichterin vorgeführt worden, welche sie dann in Untersuchungshaft nahm. Auf meinen Antrag hin hatte am 24. Februar eine mündliche Haftprüfung stattgefunden, in der diverse Argumente ausgetauscht wurden. Auch hierüber habe ich im strafblog schon detailliert berichtet. Insbesondere hatte ich geltend gemacht, dass die Frau in Kenntnis aller Umstände nach  Deutschland gekommen ist, dass sie inzwischen in Deutschland in Gerichtsnähe Wohnsitz genommen hätte, dass ihr Mann und ihre Kinder in Kürze von Mallorca zurück nach Deutschland ziehen würden, wo die Kinder zur Schule gehen würden. Dies könne ggfs. auch als Verschonungsauflage festgeschrieben werden. Im Übrigen gebe es keinerlei Anknüpfungstatsachen für Fluchtgefahr. Die bloß abstrakte Annahme einer zu erwartenden erheblichen Freiheitsstrafe reiche nicht aus, Fluchtgefahr zu begründen.

Jetzt folgen Auszüge aus der Haftentscheidung, mit der Haftfortdauer angeordnet wurde:

„… Die fluchthemmenden Aspekte, die bei der Beschuldigten festzustellen sind, (Wohnsitz im Inland, angebotene Kaution, soziale Einbindung in die Familie – die nach der Erklärung des Verteidigers wohl beabsichtigt, zu der Beschuldigten nach Deutschland zu kommen) können die fluchtfördernden Aspekte nicht überwiegen. Die Beschuldigte hat in diesem Verfahren auf Grund der Schwere der vorgeworfenen Taten mit einer erheblichen Vollzugsstrafe zu rechnen. Hinzu kommt, dass weitere Verfahren gegen die Beschuldigte …. anhängig sind. Auch der nunmehr in Deutschland begründete Wohnsitz räumt den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht aus. Im Übrigen wiegt der feste Wohnsitz aufgrund der bestehenden Freizügigkeit innerhalb der EU nur geringfügig mehr, insoweit er im konkreten Fall eine örtliche Nähe zum Verfahrensort begründet.

Die Beschuldigte erklärte im Haftprüfungstermin selbst unter Tränen, dass sie zu ihren Kindern zurück möchte, da sie die Trennung von ihnen nicht ertrage. Die Kinder sind derzeit nicht in Deutschland, sondern halten sich bei ihrem Vater auf Mallorca auf. Die Beschuldigte hat angesichts der Schwere der Tatvorwürfe mit einer erheblichen Vollzugsstrafe zu rechnen. Die ihr deswegen bevorstehende Trennung von ihren Kindern gibt der Beschuldigten somit einen hohen Anreiz zur Flucht. Da laut Einlassung des Verteidigers seitens der Beschuldigten und ihres Ehemannes beabsichtigt ist, die Kinder aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld von Mallorca nach Deutschland zu bringen, spricht nichts gegen eine Flucht der gesamten Familie.“

Mit anderen Worten (wenn ich die Begründung richtig verstehe): Entgegen den Ausführungen im Haftbefehl, wonach die Beschuldigte keinen Wohnsitz und keine ausreichenden sozialen Bindungen im Inland habe, kommt der Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland und in Gerichtsnähe keine nennenswerte Bedeutung zu, weil ja in der EU Freizügigkeit herrscht. Dass die Mutter an den Kindern hängt, verstärkt die Fluchtgefahr, weil sie ja eine Trennung von diesen – die im Falle einer verbüßbaren Haftstrafe unausweichlich wäre – nicht ertragen kann. Und wenn der Ehemann und die schulpflichtigen Kinder, um der Mutter beizustehen, von Mallorca nach Deutschland umsiedeln, damit die Familie zusammen ist, dann tun sie das, um mit der gesamten Familie flüchten zu können. Wohin auch immer und mit welchen Mitteln auch immer ….

Ich merke mal wieder, im Haftrecht sind der Fantasie keine Grenze gesetzt, wenn die Freiheitsrechte ausgehebelt werden sollen.


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