Noch ein mit Erfolg abgelehnter Sachverständiger, eine streitige Haftverschonung, ein verschwundenes Tagebuch und weitere Skurrilitäten im Stalking-Prozess um eine Kriminalhauptkommissarin



Veröffentlicht am 7. August 2013 von

Land- u. Amtsgericht Mönchengladbach

Land- u. Amtsgericht Mönchengladbach

Gestern fand vor dem Mönchengladbacher Landgericht der Verhandlungstag Nr. 5 im Berufungsverfahren gegen einen früheren Autohändler statt, der seit nunmehr 17 Monaten in Untersuchungshaft sitzt und seinen Job deshalb nicht mehr ausüben kann. Mit der Beweisaufnahme ist immer noch nicht begonnen worden, aber gleichwohl hat sich inzwischen Einiges getan.

Für einige Verfahrensbeteiligte durchaus überraschend hat die Kammer gestern einem weiteren Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen einen psychiatrischen Sachverständigen stattgegeben und diesen als Gutachter entlassen. Überraschend war das vor allem deshalb, weil ein erster, sehr viel substanziellerer Antrag vor kurzem noch abgelehnt worden war. Neben anderen Gründen war seitens der Verteidigung vorgebracht worden, dass der Sachverständige schon in erster Instanz Ausführungen eines der Verteidiger als „Hirngeburt“ bezeichnet hatte, und dass er, nachdem der Verteidiger sein Gutachten einem anderen Sachverständigen, der zuvor erfolgreich seitens der Nebenklage abgelehnt worden war, zur Überprüfung vorgelegt hatte, gegen den Verteidiger Strafanzeige wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz erstattet hatte. Ich habe darüber schon mehrfach im strafblog berichtet. „Dieser Verteidiger E.“ habe „seine strafbewehrtes Fehlverhalten“ in der Hauptverhandlung „kleinlaut zugegeben“, hatte der Sachverständige in der Strafanzeige formuliert. Die Verteidigung hatte dazu vorgetragen, dass es dem Sachverständigen nicht zustehe, zulässiges Verteidigerverhalten als „strafbewehrtes Fehlverhalten“ zu disqualifizieren, und dass das Attribut „kleinlaut“ ebenso wenig sachgerecht sei wie die Behauptung, etwas sei „zugegeben“ worden, was gar nicht strafbar oder unzulässig ist. Das Alles hatte der Kammer nicht ausgereicht, die Besorgnis der Befangenheit zu bejahen. Ein vernünftiger Angeklagter, so die Kammer sinngemäß, müsse differenzieren können, ob die Anzeige gegen ihn selbst oder (nur) gegen seinen Verteidiger gerichtet sei, und wenn schon eine Strafanzeige eines Sachverständigen gegen den Angeklagten selbst nicht ausreiche, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, dann müsse dies erst Recht für die Strafanzeige gegen den Verteidiger gelten.

Ich meine, die Kammer hat sich mit dieser Begründung ein wenig vergaloppiert. Richtig ist, dass die Rechtsprechung wiederholt festgestellt hat, dass eine berechtigte Strafanzeige eines Richters gegen einen Angeklagten, der ihn beleidigt hat, keine Besorgnis der Befangenheit begründet. Das ist auch hinzunehmen, da ein Angeklagter es ansonsten in der Hand hätte, einen Richter etwa mit Beleidigungen so lange zu provozieren, bis dieser Anzeige erstattet, und ihn dann aus dem Verfahren herauszuschießen. Etwas anderes ist aber eine offensichtlich unbegründete Strafanzeige wegen eines völlig zulässigen Verteidigerverhaltens, die – wie im vorliegenden Fall – gegenüber den Verfahrensbeteiligten nicht einmal offen gelegt wird und mit dem oben zitierten Vokabular begleitet wird. Das geht ersichtlich zu weit und begründet aus meiner Sicht ganz offensichtlich die für eine Ablehnung erforderliche Besorgnis.

Die Verteidigung hat gegen den ablehnenden Beschluss der Kammer Gegenvorstellung erhoben und umfangreiche Rechtsprechung (auch von Zivilgerichten) zu Befangenheitsanträgen gegen Sachverständige zitiert. Darüber hinaus hat sie einen neuen Befangenheitsantrag formuliert und dabei unter anderem geltend gemacht, der Sachverständige habe in der letzten Sitzung eine weitere despektierliche Äußerung gegen den betreffenden Verteidiger getätigt, indem er meinte, dieser habe seine Rechtsauffassungen schon in 1. Instanz „runtergebetet“ und damit zur langen Verfahrensdauer beigetragen. Diese relative Petitesse hat der Kammer jetzt in einer Gesamtschau mit den früher bereits vorgetragenen Gründen genügt, dem Befangenheitsantrag stattzugeben. Vielleicht lag dem ja die späte Erkenntnis zugrunde, dass eigentlich schon dem ersten Antrag hätte stattgegeben werden müssen. Besser spät als nie, könnte man meinen.

Jetzt muss erst mal ein neuer Sachverständiger her, das Verfahren wird sich noch weiter verzögern. Die Kammer hat zunächst eine Aussetzung des Verfahrens in Aussicht gestellt, was mich veranlasst hat, einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zu stellen. Ich habe geltend gemacht, dass trotz der erstinstanzlichen Verurteilung aus meiner Sicht kein dringender Tatverdacht vorliege, weil das Urteil an erheblichen Mängeln leide und die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin, einer Kriminalhauptkommissarin, außerordentlich fraglich sei. Dies sei im Urteil nicht einmal ansatzweise problematisiert worden. Da sei beispielsweise eine angebliche sexuelle Nötigung in einer weiteren Strafanzeige nachgeschoben worden, für die es keinerlei objektive Zeugen gebe und die angeblich schon zwei Jahre zuvor stattgefunden haben soll. Die Zeugin will auch mit niemandem über die schreckliche Tat gesprochen haben, hat aber als Beweis über ihren Anwalt tagebuchähnliche Aufzeichnungen vorgelegt, die sie seinerzeit nur für sich gefertigt haben will. Wer schreibt in ein nur für sich gefertigtes Tagebuch die vollständige Anschrift der eigenen Schwester samt Postleitzahl hinein, habe ich gefragt, und wer fügt an anderer Stelle in senem Tagebuch hinzu, dass Unterlagen nachgereicht werden können? An wen denn bitte, wenn die Aufzeichnungen nur für sich selbst gefertigt worden sind? Die Zeugin konnte sich in erster Instanz angeblich nicht daran erinnern, wo und auf welchem Rechner sie die Tagebuchaufzeichnungen über 7 Wochen hinweg gefertigt hat. Das ist schlichtweg hanebüchen und absolut unglaubbhaft. Ihr Anwalt hatte in der Strafanzeige passagenweise aus dem Tagebuch, das als „Ablaufkalender“ bezeichnet wurde, zitiert, etliche handschriftliche Zusätze, die sich später darin fanden, aber weggelassen. Den Verdacht, die handschriftlichen Zusätze seien später hinzugefügt worden, hat der Anwalt entschieden dementiert. Er sei halt sein (unbeabsichtigter) Fehler gewesen, dass er diese Zusätze bei Abfassung der Strafanzeige übersehen habe. Die Zeugin hat sich in erster Instanz laut der Sitzungsprotokolle 134 Mal auf Erinnerungslücken berufen, als sie zum Tat- und Randgeschehen befragt wurde. Etliche Male hat sie sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, weil im Zusammenhang mit früheren Aussagen vor Gericht Strafanzeige wegen Falschaussage gegen sie erstattet worden sei. Wie soll eine solche Zeugin glaubhaft sein und auf der Grundlage ihrer Aussage dringender Tatverdacht begründet werden, habe ich gefragt.

Die Annahme von Fluchtgefahr sei nach 17 Monaten Untersuchungshaft auch im unerwarteten Fall einer Berufungsverwerfung in Anbetracht einer Restverbüßungserwartung von wenigen Monaten unbegründet. Außerdem sei eine Haftfortdauer unverhältnismäßig.

Die Staatsanwaltschaft und natürlich auch der Nebenklagevertreter haben einer Aufhebung des Haftbefehls und auch einer Haftverschonung energisch widersprochen. Dabei haben sie insbesondere angeführt, dass die Nebenklägerin auch weiterhin vor dem ach so bösen Angeklagten geschützt werden müsse. Mein Mitverteidiger, Rechtsanwalt Oliver Wintz, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das vermeintliche Schutzbedürfnis der Nebenklägerin kein gesetzlich normierter Haftgrund sei.

Die Kammer hat nach Beratung einen Haftverschonungsbeschluss verkündet. Es bestehe nach wie vor dringender Tatverdacht aufgrund der erstinstanzlichen Bekundungen der Zeugin, die bislang noch nicht im Berufungsverfahren überprüft werden konnten. Die von der Verteidigung vorgetragenen Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen seien natürlich zu beachten, könnten aber vor Befragung der Zeugin nicht gegen deren Glaubwürdigkeit herangezogen werden. Mich erstaunt eine solche Argumentation.

Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde gegen die Haftentscheidung eingelegt und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen. Letzteres hat die Kammer abgelehnt. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft ebenfalls Beschwerde eingelegt.

Ich habe meinersteits Beschwerde gegen den Beschluss angekündigt. Unser Mandant werde keine Kaution stellen, der Haftbefehl sei ohne jegliche Auflagen aufzuheben. Ich habe beantragt, die an Gerichtsstelle anwesende Hauptbelastungszeugin auch ohne Anwesenheit eines Sachverständigen sofort anzuhören, damit sich die Kammer im Hinblick auf die fortbestehende Haftfrage einen Eindruck von deren Glaubwürdigkeit verschaffen könne. Das hat die Kammer abgelehnt, aber immerhin auf meine Einwände hin von einer Aussetzung des Verfahrens abgesehen. Jetzt soll es nächste Woche (vermutlich mit einem neuen Sachverständigen, der erst noch gefunden werden muss) mit der Vernehmung der Zeugin weitergehen.

Ich habe den Nebenklagevertreter gefragt, ob er von seiner Mandantin das Original des Ablaufkalenders vorgelegt bekommen habe, was dieser bejahte. Ich habe ihn gefragt, ob sich das Original noch bei ihm befinde. Er glaube ja, meinte er. Ich habe beim Gericht angeregt, den Nebenklagevertreter zu veranlassen, das Original zur Akte zu reichen und der Verteidigung Einsicht zu gewähren, um dieses auf Fälschungsmerkmale überprüfen zu können. Notfalls solle der Kalender beschlagnahmt werden. Der Nebenklagevertreter erklärte, Letzteres sei nicht nötig, er habe keine Probleme damit, den Kalender vorzulegen und werde sofort in seiner Kanzlei anrufen, damit dieser zum Gericht gebracht werde. Ich habe geunkt, ich könne mir vorstellen, dass der Kalender auf ominöse Weise verschwunden sei. Die Sitzung wurde unterbrochen, um den Kalender herbeizuschaffen. Nach der Unterbrechung blätterte der Kollege umständlich in zwei mitgebrachten Ordnern und teilte dann mit, der Kalender sei tatsächlich verschwunden. Er habe sich eben noch von seiner Mandantin bestätigen lassen, dass sie ihm das Original gegeben und dieses auch nicht zurückerhalten haben. Er könne derzeit nicht sagen, wo dieses abgeblieben sei. Ich habe darauf hingewiesen, dass mich das Verschwinden des Kalenders, der ja ein wichtiges Beweismittel sei, nicht überrascht. Damit sei zu rechnen gewesen. Bei der Beweiswürdigung müsse dies berücksichtigt werden.

Ich meinem Erstaunen darüber Ausdruck verliehen, dass der Kalender als originäres Beweismittel nicht schon erstinstanzlich bzw. schon im Ermittlungsverfahren beschlagnahmt worden ist.

All diese und noch Einiges mehr werde ich in meiner Beschwerde gegenüber dem OLG vortragen. Ich mag mir nicht vorstellen, dass der Haftbefehl danach nicht aufgehoben wird. Aber wie war das noch: Vor Gericht und auf hoher See…..

Der Fall Mollath lässt grüßen. Kachelmann auch.

 

 


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