Das Hanseatische Oberlandesgericht hat mit einem vielbeachteten Beschluss vom 5.04.2012 die Verurteilung eines 58-jährigen Frührentners aufgehoben, der einem Fotoreporter, der ihn im Gerichtsgebäude zum wiederholten Male ablichten wollte, vor die Kamera geschlagen hatte, die diesem dadurch ins Gesicht geriet und dort leichte Verletzungen verursachte. Amts- und Landgericht hatten den Mann zuvor der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und ihn zu einer Geldstrafe verurteilt. Anlass der Auseinandersetzung im Gerichtsflur war ein Strafverfahren gegen den Rentner im Zusammenhang mit einem banalen Nachbarschaftsstreit, bei dem auch Hunde eine Rolle spielten. Das Verfahren hatte später zum Freispruch geführt.
Der Rentner war im Gerichtsflur von dem Fotografen überrascht worden, der ihn mehrfach fotografierte und dessen lautstarken Protest ignorierte. Er könne sich ja ein Blatt Papier oder die mitgeführte Tasche vor´s Gesicht halten, hatte der Fotograf dem Mann vorgeschlagen, während er diesen weiter fotografierte. Da hatte dieser entnervt zugeschlagen.
In seiner vom Kollegen Burhoff im Wortlaut wiedergegebenen Entscheidung hat das OLG Hamburg nicht nur in Frage gestellt, ob die Kamera im vorliegenden Fall vom Angeklagten als gefährliches Werkzeug eingesetzt worden ist. Es hat insbesondere klargestellt, dass dem Angeklagten, der wohl eher nicht als relative Person der Zeitgeschichte angesehen werden könne, gegen das ungewollte Fotografieren ein Notwehrrecht gem. § 32 StGB als Ausfluss seines grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugestanden haben kann. Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung seien das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten gegeneinander zu gewichten. Dies hätten die Vorinstanzen nicht hinreichend getan. Wenn das Fotografieren ein rechtswidriger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Rentners war, dann habe dieser auch das Recht gehabt, die Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet, erforderlich und geboten waren, den rechtswidrigen Angriff zu beenden. Ein milderes Mittel als das Schlagen gegen die Kamera sei vorliegend wohl nicht ersichtlich gewesen. Insbesondere habe er sich nicht darauf verweisen lassen müssen, er könne sich einen Gegenstand vor das Gesicht halten. Auch die Möglichkeit, das Bild später in dem Presseorgan mit einem Balken vor den Augen zu versehen, reiche nicht aus, das Persönlichkeitsrecht des ungewollt Fotografierten zu wahren.
Als Verteidiger sind wir nicht selten mit der Frage befasst, wie wir die Persönlichkeitsrechte unserer Mandanten gegen aufdringliche Fotografen schützen können. Natürlich müssen wir dabei ebenfalls das Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Auge behalten und abwägen, ob und inwieweit der Schutz der Persönlichkeitsrechte überwiegt. Im Wegberger Klinik-Skandal-Verfahren habe ich eine junge Assistenzärztin verteidigt, die im Alter von 26 Jahren das Pech hatte, bei zweifelhaften medizinischen Eingriffen des Chefarztes und Klinikeigentümers anwesend zu sein und die deshalb mit auf die Anklagebank geraten war. Die junge Frau wollte in dem presseträchtigen Verfahren nicht erkennbar abgelichtet werden und hat sich deshalb auf meinen Rat hin schon auf dem Weg zum Gericht in einen Schal gehüllt, der wie ein Schador ihr gesamtes Gesicht verdeckte. Natürlich haben sich die Fotografen ganz besonders auch darauf gestürzt und später wurden skurrile Bilder von der vermummten Frau veröffentlicht. Die Mandantin ist in dem Verfahren von allen Tatvorwürfen freigesprochen worden und weiterhin als Ärztin tätig.
In anderen Verfahren mit Medieninteresse drücken wir den Mandanten schon mal einen Aktendeckel in die Hand, mit dem sie dann ihr Gesicht verdecken, wenn sie in den Gerichtssaal geführt werden und auf der Anklagebank Platz nehmen, bis die Kameras ausgeschaltet sind.
Reichlich merkwürdig mutet die Jagd von Pressefotografen eines bekannten Boulevardblattes auf Bilder von den jungen Angeklagten im Hamburger Piratenverfahren an. Es dürfte sich um dasselbe Blatt handeln, das auch die Fotos von dem eingangs erwähnten Rentner veröffentlicht hat. Seit die 3 jungen Angeklagten, die unter das Jugendrecht fallen, aus der Haft entlassen wurden, hat es immer wieder Versuche gegeben, diese abzulichten. An die Fotografen gerichtete Bitten der Verteidigung, dies doch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu unterlassen, werden geflissentlich ignoriert. Das führt dazu, dass wir vor Prozessbeginn jeweils sondieren, ob Fotografen anwesend sind. Bislang konnten wir es dann mit Hilfe der Justizbehörden arrangieren, dass die Angeklagten durch für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Flure in den Gerichtssaal geführt wurden. Natürlich ist das Piratenverfahren ein zeitgeschichtlich interessantes Verfahren, das im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Es dürfte außer Zweifel stehen, dass die Angeklagten jedenfalls als relative Persönlichkeiten der Zeitgeschichte anzusehen sind. Andererseits wiegt der Persönlichkeitsschutz von Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich schwerer als derjenige von erwachsenen Angeklagten. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich ungestört von öffentlicher Wahrnehmung in Freiheit zu entwickeln. Es ist zumindest bedauerlich, dass bestimmte Presseorgane dies nicht respektieren und bereit sind, die Rechte der jungen Menschen der Schlagzeile zu opfern. Als Verteidiger halten wir dagegen, ohne dass bislang das Faustrecht zum Einsatz gekommen wäre.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Persönlichkeitsrechte von Angeklagten versus freie Berichterstattung – Manchmal ist es ein Kreuz mit den Fotografen, ich kann ein Lied davon singen
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