Recht haben und Recht bekommen, das sind zwei Paar Schuhe – Opportunitätserwägungen im Strafverfahren



Veröffentlicht am 14. August 2013 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei Paar Schuhe, nicht nur als erfahrener Strafverteidiger weiß man das. Deshalb gilt es in jedem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, sich erst einmal einen Überblick über Sach- und Rechtslage zu verschaffen, die Beweislage zu eruieren und dann die Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Zeit – und Kostenfragen müssen in die Betrachtung einbezogen werden, und nicht zuletzt sollte man an die möglichen psychischen und anderen gesundheitlichen Belastungen denken, die für den Beschuldigten mit einem möglicherweise langen Verfahren verbunden sein können.

„Mir geht es um´s Prinzip!“, höre ich nicht selten von meinen Mandanten, wenn ich vorsichtig darauf hinweise, dass es sinnvoll sein kann, mit der Staatsanwaltschaft auch über eine mögliche Verfahrenseinstellung nach dem Opportunitätsprinzip zu verhandeln und die Sache so zu einem schnellen Abschluss zu bringen. So Prinzipien können im Einzelfall ziemlich tödlich sein.

Gestern habe ich mich zu einem erneuten langen Gespräch mit einem Mandanten getroffen, den ich in einer schwierigen Wirtschaftsstrafsache vertrete. Der Mann ist inzwischen im Rentenalter, er war lange Jahre Ministerialbeamter und soll im Zusammenhang mit einer daneben ausgeübten Stiftungstätigkeit einen Konzern um deutlich mehr als eine halbe Million Euro betrogen haben. Für mich spricht ziemlich viel dafür, dass der Vorwurf unzutreffend ist, aber die Sache ist nur schwer zu durchschauen und viele Personen und Institutionen mit gegenläufigen Interessen sind involviert. Da gibt es Banker und Konzernmitarbeiter, denen eigenes strafrechtlich relevantes Verschulden angelastet werden könnte, da geht es um potenzielle Schadensersatzpflichten von Belastungszeugen gegenüber dem eigenen Arbeitgeber, jeder will seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Die Akte ist inzwischen ein paar Bände dick, die angebliche Tat liegt schon ein paar Jahre zurück.

Der Mandant war bis vor kurzem anderweitig anwaltlich vertreten, und die Staatsanwaltschaft hatte dem Verteidiger einen – wie ich finde – in Anbetracht der erheblichen Schadenshöhe reichlich bedenkenswerten Vorschlag gemacht. Das Verfahren könne gegen eine Geldauflage von ein paar tausend Euro im mittleren einstelligen Bereich gemäß § 153a StPO eingestellt werden. Der Kollege hat den Vorschlag mit dem Mandanten erörtert und dann abgelehnt, weil – es geht ja um´s Prinzip. Er wolle das nicht auf sich sitzen lassen, hatte der Beschuldigte argumentiert, jeder vernünftige Mensch müsse doch bei einigem Nachdenken erkennen, dass er unschuldig sei und dass da eine Intrige gegen ihn gesponnen wird.

In dieser Überlegung stecken mehrere Fiktionen: Nicht unbedingt ist jeder Staatsanwalt und jeder Richter vernünftig, wenn es um die Analyse schwieriger Probleme geht. Außerdem: Zwei Juristen, drei Meinungen, wir kennen das ja. Und dann sind da ja auch andere Personen involviert, die vielleicht Macht und Einfluss und manchmal auch viel Geld haben, um ihre eigene Position geltend zu machen. Ein großer Konzern und eine Bank haben ja ganz andere Möglichkeiten als ein in Rente befindlicher ehemaliger Ministerialbeamter,  sie können ganze Rechtsabteilungen involvieren und Heerscharen von Anwälten auf so eine Sache ansetzen, wenn sie es für nötig halten. Immerhin ist ja auch die Staatsanwältin, die das Einstellungsangebot  unterbreitet hat, bei vorläufiger Bewertung der Beweislage von einem gewissen Verschulden ausgegangen, ansonsten hätte sie das Verfahren mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Ich habe dem Mandanten nach intensiver Beschäftigung mit der Sache und nach Aktenstudium geraten, mit der Staatsanwaltschaft doch noch einmal über eine mögliche Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage zu verhandeln. Ich habe darauf hingewiesen, dass im Falle einer Anklageerhebung mit einem umfangreichen, viele Verhandlungstage umfassenden Prozess zu rechnen sei, der unüberschaubar teuer werden könnte und jedenfalls durchaus ein Verurteilungsrisiko in sich trage, das auch Auswirkungen auf seinen Pensionsanspruch haben kann. Die paar Tausend Euro Geldauflage seien demgegenüber Peanuts. Ich habe darauf hingewiesen, dass es klug sein könnte, das Rentnerdasein zu genießen und die späten Jahre nicht mit so einem Verfahren zu belasten, dass – wie man ihm anmerkt – einen Großteil an Lebensenergie verschlingt.

Der Mandant hat schließlich zugestimmt, unter diesen Aspekten habe er die Sache bislang noch nicht so richtig betrachtet. Ihm sei es immer um´s Prinzip gegangen. Der Mandant ist ein sympathischer, kluger Kerl, ich sitze gerne mit ihm zusammen, wir können eine Menge Lebenserfahrung miteinander austauschen.

Inzwischen ist ein neuer Staatsanwalt für die Sache zuständig. Der sieht die Sache ganz anders als seine Vorgängerin. Eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sei in Anbetracht der Schadenshöhe und der erheblichen kriminellen Energie abwegig. Da habe seine Kollegin sich eindeutig vergriffen. Mein Mandant hätte seine Chance gehabt und vertan. Noch einmal komme so ein Vorschlag nicht in Betracht. Ich habe mit Engelszungen geredet, inhaltlich argumentiert, auf das Alter meines Mandanten und die Belastungen durch das Verfahren und auf seine bislang strafrechtlich völlig weiße Weste hingewiesen, alles vergeblich.

Ich habe umfangreich Stellung zu den Vorwürfen bezogen, aber das hat den Staatsanwalt nicht beeindruckt. Er hat Anklage zur Strafkammer erhoben, da können Strafen von mehr als vier Jahren verhängt werden.

Die Sache hängt im Zwischenverfahren, ich habe Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben, die Kammer hat noch nicht darüber entschieden. Dafür hat die Presse über den Fall berichtet, wenn es danach geht, dann ist mein Mandant schon so gut wie verurteilt. Die Kammer hat für den Fall der Verfahrenseröffnung eine Menge von möglichen Hauptverhandlungsterminen bei mir angefragt, im Dezember soll es losgehen, falls eröffnet wird.

„Hätte ich Sie nur mal früher kennengelernt“, hat mir mein Mandant gestern gesagt, „dann hätte ich der Verfahrenseinstellung wohl zugestimmt. Ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass die Sache kompliziert ist und dass ein Verurteilungsrisiko besteht. Eigentlich ist doch Alles so eindeutig, habe ich gedacht.“

„In der Justiz ist selten etwas eindeutig, ähnlich wie in der Politik“, habe ich geantwortet. Von letzterer kennt der Mann ja Einiges, er war ja jahrelang im politischen Zirkus tätig.

„Sie machen das schon, Herr Pohlen, ich verlasse mich ganz auf Sie“, hat er mir abschließend noch gesagt. Ach ja, wenn das immer so einfach wäre. Ich bin gespannt, was herauskommt bei der Angelegenheit. Wissen tun wir´s erst, wenn Alles vorbei ist. Wie heißt es noch so schön: „Der Historiker ist klüger als der Zeitgenosse!“


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