Reden ist nicht immer Silber, Schweigen aber häufig Gold. Warum reden Zeugen so oft ohne Not?



Veröffentlicht am 8. Mai 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Ich denke, jeder Strafverteidiger kennt das. Da werden Zeugen im Strafprozess zu Beginn ihrer Vernehmung deutlich darauf hingewiesen, dass ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, soweit sie sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung von Fragen selbst belasten bzw. der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würden. Bisweilen werden sie auch darauf hingewiesen, dass sie gar keine Fragen beantworten müssen, weil eigentlich jede Antwort sie belasten könnte und das partielle Auskunftsverweigerungsrecht zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht erstarkt ist. Der Zeuge behauptet, die Belehrung verstanden zu haben, und dann redet er ohne Not und oft auch ohne Sinn und Verstand drauflos. Er verheddert sich in Widersprüche, das Gericht oder andere Verfahrensbeteiligte weisen erneut auf das Auskunftsverweigerungsrecht hin, aber der Zeuge nimmt kein Signal auf und blubbert weiter.

Ich war vor nicht allzu langer Zeit als Verteidiger in einem Verfahren tätig, in dem es um uneidliche Falschaussage ging. Der Mandant – eigentlich ein intelligenter Kerl – war ein paar Monate zuvor als Zeuge in einem Verfahren vernommen worden, in dem ihm ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zugestanden hätte. Mir hatte er von der Zeugenladung nichts erzählt, obwohl ich ihn schon reichlich oft verteidigt hatte und wir in regelmäßigem Kontakt standen. Er war von mir schon wiederholt über sein Schweigerecht instruiert worden. Vor Gericht hat er dann drauflos geredet und sich in richtige Bredouille gebracht. Der Richter hat ihm mehrfach gesagt, dass er ihm nicht glaube. Er hat dann wörtliche Protokollierung angeordnet und explizit angedroht, dass er ein Falschaussageverfahren einleiten werde, wenn er weiter lüge. Der Mann hat auch das nicht zum Anlass genommen, die Klappe zu halten oder sein Aussageverhalten zu ändern. Er hat auch nicht daran gedacht, um Unterbrechung zu bitten und mich anzurufen und zu fragen, was er machen solle. Anscheinend war er in eine gewisse mentale Agonie verfallen, die ihn denk- und reaktionsunfähig machte. Allerdings ist das eine eher plakative Darstellung, für eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB reicht das sicher nicht aus.

Die Aussage, die der Mann gemacht hat, war offensichtlich falsch. Da gab es in der Sache nichts zu verteidigen. Er hat einfach dumm gelogen. Das Gericht hat ihn zu 6 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil er zum Zeitpunkt der Falschaussage unter Bewährung stand und zuvor auch schon mal während des Laufes einer Bewährungszeit straffällig geworden war. Das hatte damals allerdings nur zu einer Verlängerung der Bewährungszeit geführt. Jetzt wird die Bewährung widerrufen werden, die Falschaussage kostet den Mann damit insgesamt 18 Monate Freiheitsstrafe, von denen er zumindest 12 Monate wird verbüßen müssen. Warum in aller Welt hat der Mann nicht von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und einfach die Klappe gehalten? Die Aussage lag ersichtlich nicht in seinem Interesse. Er hatte auch keinen Grund, zugunsten des Angeklagten oder einer anderen Person zu lügen. Woher kommt das selbstschädigende Bedürfnis vieler Menschen, bei der Polizei oder vor Gericht unbedingt reden zu wollen, obwohl nur Schweigen Gold wäre?

Derzeit verhandeln wir in einem Kapitalanlagebetrugsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf. Gestern war der dritte Verhandlungstag. Zunächst wurde ein Zeuge vernommen, gegen den im selben Zusammenhang wegen Beihilfe ermittelt wird. Er soll als Erstverkäufer an betrügerischen Anlagegeschäften mitgewirkt haben. Angeklagt ist er bislang nicht. Der Vorsitzende hat den Mann belehrt. In aller Deutlichkeit. Einer der Verteidiger hat halblaut in den Saal gesagt, dass es sicher klüger wäre, nichts zu sagen. Der Zeuge, der durch die Aussage nichts gewinnen konnte, hat das ignoriert. Er hat drauflos geredet. Einfach so. Gleich zu Anfang hat er sich beschwert, dass er eigentlich gar nichts mehr wisse. Er habe in letzter Zeit zehntausend Sachen zu erledigen gehabt und überhaupt keine Zeit. Ihm stehe der Kopf anderswo.

„Warum redest du denn, Mann?“, lag mir auf der Zunge, aber ich habe es runtergeschluckt. Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet ein Sprichwort. Seines Unglückes auch, könnte man ergänzen. Die Aussage war reichlich unergiebig. An seine früheren Angaben bei der Polizei hat sich der Zeuge nicht mehr so richtig erinnert. Da gab es einige Widersprüche, die nicht so richtig geklärt werden konnten. Der Mann verhedderte sich bisweilen, hatte aber Glück. Niemand hat ihn so richtig hart angepackt. Die Staatsanwältin wies auf einige Ungereimtheiten hin, blieb aber ansonsten zurückhaltend. Ich denke nicht, dass die Aussage strafrechtliche Folgen haben wird. Das hätte aber auch anders kommen können.

Ein zweiter Zeuge, der zeitweise in der Kundenakquise eingesetzt worden war,  wurde ebenfalls intensiv belehrt und auf sein Auskunftsverweigerungsrecht hingewiesen. Auch der hätte sich der Vernehmung wohl recht unproblematisch entziehen können. Gewinnen konnte er durch seine Aussage nichts. Der Mann hatte erstaunliche Gedächtnislücken. Bei der Polizei hatte er auch schon ohne Not geredet und für die Strafverfolger noch einigermaßen brauchbare Angaben gemacht. Davon war jetzt kaum noch etwas übrig. „Ist ja auch schon zwei Jahre her“, meinte der Mann als Erklärung für die partielle Amnesie. Ich hatte den Eindruck, dass ihm während der Aussage nicht sonderlich wohl war. Das hätte er sich unschwer ersparen können. Erneut die Frage: Warum reden die Leute ohne Not und setzen sich Risiken aus?

Es ist eine Binsenweisheit: Eine Vielzahl von Verurteilungen wären nicht möglich, wenn die Beschuldigten oder potenziellen Tatbeteiligten schon bei der Polizei oder später als Zeugen vor Gericht – solange ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht – nichts sagen würden. Polizeilichen Vorladungen kann man ohnehin fernbleiben. Da besteht – was viele nicht wissen – keinerlei Verpflichtung zum Erscheinen. Die Annahme, wer schweigt, mache sich erst recht verdächtig, ist unzutreffend. Richtig ist, dass derjenige, der redet, sich mancherlei unkalkulierbaren Risiken aussetzt. Das gilt insbesondere bei der Polizei, wo in der Regel kein Wortprotokoll errichtet wird. Der Vernehmungsbeamte schreibt das, was er verstanden zu haben glaubt, mit seinen Worten ins Protokoll. Oft genug gibt es da Abweichungen zwischen dem, was gesagt wurde, und dem, was aufgeschrieben worden ist. Das hören wir von unseren Mandanten immer wieder. Trotzdem unterschreiben sie am Ende das Protokoll, ohne dieses noch einmal mit Verstand durchgelesen zu haben. Oder sie trauen sich nicht, notwendige Korrekturen zu verlangen.

Heute geht es in Düsseldorf weiter mit den Zeugenvernehmungen. Unter anderem wird die Ex-Lebensgefährtin eines Angeklagten aussagen, die mit diesem auf Kriegsfuß steht und ihm nichts Gutes will. Die hat ihn schon mehrfach wiederholt massiv belastet, angeblich nur deshalb, um selbst in nichts reingezogen zu werden. Sie werde ihn mit ihrer heutigen Aussage in den Knast bringen, soll sie vor einigen Tagen vor mehreren Zeugen bekundet haben. Mal sehen, ob ihr das gelingt. Reden ist ja bekanntlich oft nicht mal Silber ….


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