Weil ich an einem Fortsetzungstermin in anderer Sache teilnehmen musste, habe ich mich gestern im Mönchengladbacher Satudarah-Verfahren vorzeitig verabschiedet und von einem Kollegen vertreten lassen. Ich bin dann aber doch noch einmal kurz in den Gerichtssaal zurückgekehrt, weil die andere Sache schnell erledigt war. So habe ich noch mitbekommen, wie ein Kriminalhauptkommissar von einem Verteidigerkollegen befragt wurde.
Warum er mit einem Zeugen rund 4 Monate nach der ersten Lichtbildvorlage, bei welcher der seinen Mandanten eindeutig nicht erkannt hatte, obwohl sich sein Foto unter den vorgelegten Bildern befunden hat, eine erneute Lichtbildvorlage durchgeführt habe, wollte der Kollege wissen. Weil er inzwischen aufgrund der Auswertung retrograder Verbindungsdaten zu neuen Erkenntnissen gelangt war, meinte der Kripo-Mann. Ursprünglich sei er davon ausgegangen, dass zumindest zwei der Angeklagten als Täter ausscheiden, aber die neue Beweislage hätte in eine andere Richtung gedeutet.
Ob er den Zeugen, als dieser nunmehr meinte, seinen Mandanten mit großer Wahrscheinlichkeit wiederzuerkennen, damit konfrontiert hätte, dass er diesen doch unmittelbar nach der Tat als Täter ausgeschlossen hatte, wollte der Kollege wissen. Und ob er ihn gefragt hätte, warum er sich nunmehr besser erinnere. Welche Erklärung er als Polizeibeamter für das späte Wiedererkennen habe.
Bei der zweiten Lichtbildvorlage seien es ja nur 8 an Stelle von ursprünglich 72 Fotos gewesen, die man dem Zeugen gezeigt hätte, meinte der Kommissar. Das seien im Gegensatz zur ersten Vorlage alles typähnliche Fotos gewesen. Er habe es nicht für sinnvoll gehalten, dem Zeugen die Frage zu stellen, warum er den Tatbeteiligten nun doch wiedererkenne. Wenn man 30 Zeugen befrage, bekomme man ja erfahrungsgemäß 30 verschiedene Antworten, und wenn man sie am nächsten Tag nochmal befrage, dann würden 20 davon wieder etwas anderes sagen.
Letzteres mag zutreffen. Jedenfalls haben die Zeugen, um die es geht, in der Hauptverhandlung niemanden wiedererkannt, insbesondere auch nicht die Angeklagten. Das Gericht hat in einem Haftfortdauerbeschluss allerdings die Auffassung vertreten, die Zeugen seien sichtlich eingeschüchtert gewesen und hätten offensichtlich niemanden wiedererkennen wollen. Ich habe das anders wahrgenommen, aber als Verteidiger hat man bekanntlich einen anderen Blick.
Wie dem auch sei, der Kriminalbeamte spricht – was seine Einschätzung von Zeugen anbetrifft – offensichtlich aus Erfahrung. Und als Verteidiger fragt man sich mal wieder, welcher Beweiswert Zeugenaussagen denn überhaupt zukommt. Es ist eine Binsenweisheit, dass Zeugen das schlechteste Beweismittel überhaupt sind, weil sie irren und verwechseln, falsch schlussfolgern oder lügen können. Letzteres oft besser als Pinocchio. Aber es ist selten, dass ein Polizeibeamter das so offen äußert, wie das gestern der Fall war, wenn es um Belastungszeugen geht. Welche Schlussfolgerungen die Kammer daraus ziehen wird, bleibt abzuwarten.
Der Prozess wird fortgesetzt.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Sind das taugliche Wiedererkennungszeugen, Herr Kommissar?
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