Sind Richter und Staatsanwälte einfach überarbeitet und unterbezahlt?



Veröffentlicht am 21. Dezember 2013 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Den Eindruck könnte man haben, wenn man den Zahlen folgt, die der Landeschef des Deutschen Richterbundes (DRB), Reiner Lindemann, laut rp-online zur Personalstärke, Arbeitszeit und Besoldung von Richtern und Staatsanwälten beklagt. Danach fehlen nämlich allein in Nordrhein-Westfalen 480 Richter und 210 Staatsanwälte, was – wenn ich die Klage richtig interpretiere – zu ständiger Überforderung des aktiven Personals führe. 4930 Richter in allen Zweigen der Gerichtsbarkeit und 1080 Staatsanwälte gibt es danach derzeit in NRW. Die Zahl der Strafrichter wird nicht separat ausgewiesen.

Laut Lindemann kommen die Amtsrichter im OLG-Bezirk Hamm nach einer Erhebung auf durchschnittlich 51,25 Stunden Wochenarbeitszeit, bezahlt würden sie aber nur für 41 Stunden. Junge Richter und Staatsanwälte arbeiteten sogar 55 bis 60 Stunden pro Woche, und das bei einer Nettobesoldung von ca. 2.550 Euro bei einem ledigen 28-jährigen Amtsrichter.

Wie authentisch die Zahlen sind, die da genannt werden, vermag ich nicht zu beurteilen. Haben die Hammer Amtsrichter im Wege der Selbstauskunft ihre wöchentliche Arbeitszeit geschätzt und dabei die gesamte berufsbedingte Abwesenheit von zuhause und die Stunden am häuslichen Schreibtisch, die sie mit Aktenarbeit verbringen, zusammengerechnet?  Haben sie Fahrtzeiten mit eingerechnet oder nicht? Wurden Kaffepausen und Kantinenzeiten im Gericht mitgerechnet oder der dem Vernehmen nach nicht ganz seltene Alltagsplausch mit Kollegen?

Vor Jahren hat mir mal ein befreundeter Richter, der an einem Landgericht tätig war, erzählt, dass er an einem Burn-out-Syndrom gelitten und deshalb irgendwann psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat. Auf 60 bis 70 Stunden habe er gefühlsmäßig seine Wochenarbeitszeit geschätzt. Sein Therapeut hätte ihm aufgegeben, die effektiven Arbeitszeiten, also vor allem die Dauer von Gerichtsverhandlungen und von konkreter Aktenarbeit und Recherche, über ein paar Wochen hinweg tabellarisch zu erfassen. Das Ergebnis sei reichlich überraschend gewesen. Auf durchschnittlich 27 Stunden effektiver Arbeitszeit pro Woche sei er gekommen, der Rest sei ziemlich viel Leerlauf und ineffektives Sinnieren gewesen. Seit er hieraus Schlussfolgerungen gezogen und die Arbeit effektiviert habe, gehe es ihm deutlich besser und gefühlte und tatsächliche Arbeitszeit hätten sich angenähert.

Ich will nicht behaupten, dass das eine repräsentative Erfahrung ist. „Jeder Doll ist anders“, sagt man bei uns am Niederrhein. Aber als Verteidiger fällt es mir doch auf, wie früh am Tage manche Richter und Staatsanwälte an vielen Tagen nicht mehr im Dienst erreichbar sind, obwohl sie keinen Sitzungsdienst haben oder die Sitzungen längst beendet sind. Ob sie dann tatsächlich über ihre Akten gebeugt zuhause am Schreibtisch sitzen, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Geschäftstellen können da ja keine Auskunft geben.

Tatsache ist jedenfalls, dass viele Ermittlungsverfahren und auch viele Hauptverfahren reichlich lange dauern, was nicht unbedingt den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht und für die Beschuldigten oder Angeklagten oft eine enorme psychische Belastung mit sich bringt. Als Kehrseite dieses Missstandes ist zu verbuchen, dass die Zeit zumeist für den Angeklagten spielt. Es ist altes Strafverteidigerlatein, dass sich die lange Dauer eines Verfahrens doch reichlich oft zugunsten des Beschuldigten auswirkt, weil irgendwann der Verfolgungseifer abnimmt oder weil die Zeit genutzt werden kann, an einer zunächst vielleicht fehlenden günstigen Sozialprognose zu arbeiten. Aber für denjenigen, der sich dem Verfahren zu Unrecht ausgesetzt sieht oder der dem Druck des Verfahrens und der damit verbundenen Zukunftsangst psychisch nicht gewachsen ist, ist das nur wenig tröstlich.

Ein Sprecher von NRW-Justizminister Kutschaty hat die Zahl von rund 700 fehlenden Stellen bei Richtern und Staatsanwälten als „sehr weit hergeholt“ bezeichnet. Der Minister selbst hat laut rp-online darauf hingewiesen, dass sich immerhin 73 Prozent der vom DRB Befragten mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden gezeigt hätten, was ein sehr guter Wert sei. Das entspricht – gefühlt – so ungefähr auch meiner subjektiven Wahrnehmung. Im Laufe der Jahre gibt es ja so einen gewissen Austausch mit Richtern und Staatsanwälten, bei dem auch schon mal persönliche oder private Belange zur Sprache kommen. Danach scheint mir Überarbeitung kein durchgängiges Problem zu sein.

Gefühlt arbeite ich – und das gilt auch für die Mehrzahl meiner Strafverteidigerkollegen – viel mehr als die meisten Richter und Staatsanwälte, wobei ich die inneffektiven Stunden auch nur schwer quantifizieren kann. Unter der Woche sitze ich jedenfalls oft bis nach 20 Uhr im Büro, manchmal sogar sehr viel länger, und am Wochenende nehme ich fast immer Akten mit nachhause, die ich dann manchmal auch tatsächlich bearbeite.  Anders als Richter oder Staatsanwälte, die ja ihren festen Arbeitsort haben, sind wir oft viele Stunden mit diversen Verkehrsmitteln kreuz und quer durch die Republik unterwegs, manchmal komme ich auf mehr als 20 Stunden Fahrzeit pro Woche. Aber gut, das ist irgendwie auch selbstgewähltes Schicksal, das mir bisweilen ja auch ordentlich bezahlt wird. Wobei sich das Durchschnittseinkommen der Anwaltschaft in den letzten 20 Jahren nach meinen Erkenntnissen zunehmend verschlechtert hat. Aber bei uns fehlen ja auch keine Planstellen, die Zahl der zugelassenen Anwälte steigt vielmehr stetig. Was zu einem kleinen Teil auch damit zusammenhängen mag, dass bei Richtern und Staatsanwälten Planstellen fehlen…


Kategorie: Strafblog
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