Diesmal musste das Fernsehteam nicht nachhause geschickt werden. Nach 21 Tagen ist das Berufungsverfahren gegen den früheren Inhaber des ehedem größten ostdeutschen Reiseveranstalters, Schumann-Reisen, am vergangenen Freitag endlich zu Ende gegangen. 1 Jahr und 8 Monate Freiheitsstrafe hat die Strafkammer gegen den inzwischen 50-jährigen Ex-Unternehmer verhängt, 3 Jahre und 6 Monate waren es in der 1. Instanz gewesen.
Es war ein zähes Ringen um eine angemessene Rechtsfolge, alle Beteiligten haben ihre Zeit gebraucht, ihre Vorstellungen einander anzunähern, eine beträchtliche Zahl von Zeugen wurde gehört und immer wieder wurden divergente Standpunkte erörtert. Ich hatte von Beginn an die Auffassung vertreten, dass eine der Höhe nach bewährungsfähige Strafe möglich sein müsste, Gericht und Staatsanwaltschaft waren da noch ganz anderer Auffassung gewesen.
Was war passiert? Mit Fleiß und Durchsetzungsvermögen hatte sich Thomas Schumann vom Busfahrer zum selbstständigen Reiseunternehmer hochgearbeitet, rund 40 Millionen Euro Jahresumsatz erzielte Schumann-Reisen in den besten Zeiten, die Reisen hatten anerkannt hohe Qualität. Schumann trat als Sponsor von Großveranstaltungen auf und betätigte sich karitativ. Ein Vorzeigeunternehmer, der deshalb auch in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts zu Thüringens Unternehmer des Jahres gekürt wurde. Da hatten die wirtschaftlichen Probleme allerdings längst angefangen. Der 11. September 2001 hatte das USA-Geschäft vorübergehend massiv zurückgehen lassen, die Vogelgrippe in China brachte das dortige Reisegeschäft fast zum Erliegen, aus der Zusammenarbeit mit chinesischen Reiseunternehmen resultierten fast 3 Millionen Euro Verbindlichkeiten. Ein paar unternehmerische Fehlentscheidungen, die zum normalen Geschäftsrisiko gehören, mögen hinzugekommen sein, jedenfalls türmte sich im Oktober 2006 ein Schuldenberg von rund 6 Millionen Euro auf.
Banken und Reiseversicherungen verlangten Restrukturierungsmaßnahmen, eine Hamburger Unternehmensberatung wurde hinzugezogen, Schumann trennte sich von wenig lukrativen Geschäftsbereichen und ackerte noch mehr als zuvor, um das Unternehmen aus der Krise zu führen. Verhandlungen mit der Hausbank und der thüringischen Landesregierung über Kredite verzögerten sich. Was lange als hoffnungsvoll angesehen wurde, scheiterte schließlich Mitte 2009, als unverbindliche Kreditzusagen endgültig zurückgezogen wurden. Schumann machte mit Hilfe privater Investoren weiter, täglich telefonierte er stundenlang mit Gläubigern und Vertragspartnern, um Vollstreckungen abzuwehren und die Insolvenz zu vermeiden. Parallel hierzu wurde von den Investoren ein neues Reiseunternehmen gegründet, das einen Teil der Verbindlichkeiten und der Reisedurchführungen sowie die Marke Schumann-Reisen übernahm.
Im Oktober 2010 machten die Krankenkassen dem Unternehmen dann wegen rückstündiger Sozialversicherungsbeiträge den Laden dicht, ein neuerlicher Insolvenzantrag konnte nicht mehr abgewehrt werden. Dabei war die wirtschaftliche Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nicht zuletzt wegen des großen Einsatzes des Firmeninhabers und seiner Mitarbeiter, die über längere Zeiten hinweg trotz erheblicher Lohnausfälle weitergemacht hatten, durchaus positiv. 2008 war bereits wieder ein operativer Gewinn in Höhe von rund einer halben Million Euro gemacht worden, 2009 sah es noch besser aus. Allerdings hatten die Gewinne dem Unternehmen nicht zu der erforderlichen Liquidität verholfen, weil halt Altverbindlichkeiten in Millionenhöhe zu tilgen waren. Rund 400.000 Euro neue Verbindlichkeiten waren seit Oktober 2006 bis zur Insolvenzeröffnung entstanden, und die brachten Schumann auf die Anklagebank. Eingehungsbetrug in mehreren dutzend Fällen wurde ihm zur Last gelegt, weil er mit Hoteliers, Restaurantbetreibern und anderen Dienstleistern Verträge abgeschlossen hatte, ohne diese auf die krisenhafte Situation des Unternehmens und die Möglichkeit verspäteter Zahlung oder des Zahlungsausfalls hinzuweisen. Zwei Reisegruppen in waren nach der Insolvenzeröffnung in Afrika und Südamerika hängen geblieben, weil die Hoteliers und Fuhrunternehmen vor Ort nicht bezahlt worden waren und die Insolvenzverwalterin nicht die erforderlichen Geldmittel für die Rückholung der Reisegruppen zur Verfügung gestellt hatte. Die mussten schließlich ins eigene Portemonnaie greifen, um wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Hinzu kamen angebliche Untreuehandlungen zu Lasten eines Motorsportveranstalters und einer Reiseversicherung in nicht unerheblicher Größenordnung, weil für diese vereinnahmte Gelder nicht bzw. nicht pünktlich weitergeleitet worden seien. Und dann die in Insolvenzfällen fast unvermeidliche Beitragsvorenthaltung, weil Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht mehr abgeführt werden konnten.
Dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe hatte das Amtsgericht Gera erstinstanzlich als Ahndung für erforderlich gehalten. Der Staatsanwaltschaft hatte das nicht ausgereicht, auch sie hatte gegen das Urteil zu Lasten Schumanns Berufung eingereicht.
Ich hatte frühzeitig mein Unverständnis über das aus meiner Sicht überharte Urteil gegen den bis dato unbestraften Unternehmer geäußert, zumal ihm ja überwiegend kein direkter Vorsatz, sondern nur Eventualvorsatz zur Last gelegt wurde und er jedenfalls nicht in die eigenen Tasche gewirtschaftet hatte, sondern sich bis an die Grenze seiner Kräfte für das Unternehmen eingesetzt hatte. Ich habe frühzeitig darauf hingewiesen, dass der in der Anklage aufgeführten Schadensumme von knapp 400.000 Euro immerhin Umsätze von fast 120 Millionen Euro im Tatzeitraum gegenüberstünden, nur eine relativ geringer Mehrumsatz hätte ausgereicht, die Insolvenz und die Anklage zu vermeiden. Insgesamt seien im Tatzeitraum fast 48.0000 Verträge abgeschlossen worden, deutlich weniger als hundert davon seien letztendlich nicht bedient worden. Und die Reisenden seien inzwischen entschädigt worden und würden überwiegend nach wie vor mit Schumann-Reisen verreisen.
Gericht und Staatsanwaltschaft hatten demgegenüber auf den langen Tatzeitraum und den immerhin sechsstelligen Schaden verwiesen, auch darauf, dass ja noch mehr Verträge hätten scheitern können und insoweit generell nicht mehr hätte kontrahiert werden dürfen.
Meine Hoffnung auf einen schnellen Prozess hatte sich frühzeitig zerschlagen, es wurde schnell klar, dass langer Atem vonnöten sein würde. Immerhin: Einen Teil der Vorwürfe, die sich nur mit großem Aufwand hätten aufklären lassen, hat das Gericht mit Zustimmung und auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt, ein anderer Teil, insbesondere die Untreuehandlungen, wurden durch die Beweisaufnahme widerlegt, weil die Vertragspartner die schwierige Situation des Unternehmens kannten und mit Schumann Zahlungsabreden getroffen hatten.
Am Ende blieb ein Ausfallschaden bei den Leistungserbringern in Höhe von etwas mehr als 60.000 Euro über, der Schaden bei den Sozialversicherungsträgern belief sich auf etwas mehr als 40.000 Euro, insgesamt also gut 100.000 Euro. als Verzögerungs- oder Gefährdungsschaden wurden rund 350.000 Euro festgestellt, das sind Beträge, die erst verspätet gezahlt oder anderweitig kompensiert wurden.
Auf im Wesentlichen übereinstimmenden Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung hat die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Krämer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 20 Monaten verhängt, ein maßvolles, aus meiner Sicht aber auch angemessenes Ergebnis. Die Strafe wurde, was manchen Berufsjuristen erstaunen wird, nicht zur Bewährung ausgesetzt. Grund hierfür sei, dass der Angeklagte auch nach dem Scheitern der Kreditverhandlungen und sogar noch nach einer staatsanwaltlichen Durchsuchung und dem zwischenzeitlichen Erlass eines Haftbefehls weitergemacht und damit auch weitere Schäden produziert habe, meinte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB, die eine Strafaussetzung zur Bewährung ausnahmsweise rechtfertigen können, seien danach nicht gegeben.
Wir werden das Urteil rechtskräftig werden lassen. Dabei spielt eine Rolle, dass es – was bei Insolvenzen recht häufig vorkommt – im Nachklapp zu der vorliegenden Anklage noch weitere Ermittlungen gegeben hat, die zu weiteren Verurteilungen zu einer dann nicht mehr bewährungsfähigen Gesamtstrafe führen könnten. Der Geraer Staatsanwalt Prauß hat erkennen lassen, dass es nicht zu weiteren Verfahren kommen müsse, wenn zumindest ein Teil der jetzt verhängten Strafe verbüßt wird. § 154 Abs. 2 StPO lässt grüßen. Ich habe die Sachlage umfassend mit dem Mandanten erörtert. Wir wollen uns einer pragmatischen Sichtweise nicht entziehen.
Noch ein Wort zum Staatsanwalt: Der hat aus meiner Sicht jedenfalls in der Berufungsverhandlung in vorbildlicher Weise gezeigt, was Aufgabe eines Staatsanwalts ist. Er hat in beide Richtungen ermittelt und bei der Vernehmung von Zeugen oft meine Fragen vorweggenommen, indem er auch entlastende Tatsachen wissen wollte. Er hat sich mit dem Angeklagten auseinandergesetzt und ist zu neuen Erkenntnissen gekommen, die er in erster Instanz nicht gewinnen konnte, weil da keine wirkliche Beweisaufnahme stattgefunden hat. Der damalige Verteidiger hatte für den Angeklagten ein recht pauschales Geständnis abgegeben und einfach auf eine milde Strafe gehofft. So darf man es nicht machen, wird jeder erfahrene Strafverteidiger sagen, und das ist dann ja auch in die Hose gegangen.
Staatsanwalt Prauß hat konstatiert, dass jedenfalls über einen relativ langen Zeitraum hinweg eine begründete Hoffnung bestanden hat, das Unternehmen aus der Krise zu führen, und dass erst nach dem Scheitern der Kreditverhandlungen eine erhöhte Veranlassung bestanden hätte, einen Schlussstrich zu ziehen und Insolvenz anzumelden. Deshalb hat er jetzt auch nur die Taten aus dem letzten Geschäftsjahr als besonders schwere – weil gewerbsmäßige – Fälle, gewertet. Insgesamt hat er, und das ehrt ihn, auf der Grundlage neuer Erkenntnisse einen Teilfreispruch beantragt und sowohl die Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe in seinem Plädoyer gegenüber dem erstinstanzlichen Antrag deutlich reduziert. Und das, obwohl er ja selbst auch Berufung mit dem Ziel ein Verböserung eingelegt hatte. Das unterscheidet ihn wohltuend von anderen, die bisweilen mit verengtem Blick nicht mehr von dem abrücken wollen, was sie einmal vertreten haben.
Für den Mandanten hat sich der Verteidigerwechsel und der lange Atem, der für das Berufungsverfahren erforderlich war, letztlich gelohnt. Jetzt liegt noch eine schwere Zeit vor ihm, aber es ist Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Ich
denke, dass er aus dem Verfahren die Erkenntnis mitnimmt, dass es manchmal besser sein kann, nicht bis zum Umfallen zu kämpfen. Für ihn wäre es retrospektiv betrachtet besser gewesen, schon 2006 oder spätestens 2009 Insolvenz anzumelden. Aber das konnte er damals nicht, er wollte ja keinem der Altgläubiger und auch seinen Mitarbeitern nichts schuldig bleiben. Er glaubte bis zuletzt, es schaffen zu können. Darum hat er weitergemacht.
Ich bin froh, dass das Verfahren vorbei ist. Und ich weiß nicht, ob ich jetzt die langen Fahrten nach Mühlhausen um 5 Uhr morgens und die schönen Sonnenaufgänge auf der Fahrt dorthin vermissen werde.
Kategorie: Strafblog
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