Strafzumessung im Schatten von Hoeneß, Middelhoff oder Ecclestone! Sind 3 Jahre Haft wegen 30.000 Euro für einen Ersttäter angemessen?



Veröffentlicht am 6. April 2015 von

AE_Vipsania_AgrippinaStrafzumessung ist bekanntlich eine schwierige, bisweilen recht kryptisch anmutende Angelegenheit und kommt zum Tragen, wenn ein Gericht darauf erkannt hat, dass der oder die zu Verurteilende schuldhaft eine rechtswidrige Tat begangen hat. Die wesentlichen Strafzumessungsregeln sind in § 46 StGB niedergelegt, wobei im Jugendstrafrecht zum Teil andere Regeln gelten.

Nach § 46 Abs. 1 StGB ist die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. In Abs. 2 der Vorschrift werden Umstände, die das Maß der Schuld mitbestimmen können, genannt, namentlich  die Beweggründe und Ziele des Täters, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Tatausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat einschließlich der Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und Herstellung eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Die Aufzählung ist nicht abschließend, es bleibt dem Gericht vorbehalten, weitere schuldmindernde oder schulderschwerende Faktoren zu bei der konkreten Strafzumessung zu berücksichtigen.

Der Strafrahmen, also die Spanne, innerhalb derer sich die Strafe bewegen kann, ist oft unermesslich groß. Der Dieb kann beispielsweise – wenn es sich um einen Normalfall handelt – mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, und die beginnt bei 5 Tagessätzen zu mindestens einem Euro. Der gemeine Raub wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren bestraft, wenn kein minderschwerer oder besonders schwerer Fall vorliegt, eine riesige Spanne, die von einer moderaten Bewährungsstrafe bis zu einer fast lebensvernichtenden Langzeitstrafe reicht. Beim gewerbsmäßigen Betrug oder gewerbsmäßiger Untreue oder etwa der Steuerhinterziehung großen Ausmaßes reicht die Spanne von 6 Monaten bis zu 10 Jahren, und natürlich spielt bei der konkreten Strafzumessung die Höhe des Schadens eine maßgebliche Rolle.

Wo soll man eine Vielzahl von Kleinbetrügereien mit einem Gesamtschaden von ein paar hundert oder ein paar tausend Euro einordnen, wenn andererseits auch Großschäden in Multimillionenhöhe bisweilen noch mit recht moderaten Strafen belegt werden? 3 Jahre und 6 Monate war die Steuerhinterziehung mit einem Volumen von mehr als 28 Millionen Euro im Falle Hoeneß wert, 6 Jahre wurden Achenbach für seinen 21-Millionen-Betrug zum Nachteil der Albrecht-Familie und einiger anderer Kunstinteressierter aufgebrummt. Da erscheinen die 3 Jahre Freiheitsstrafe für läppische 800.000 Euro Untreue im Fall Middelhoff schon fast barbarisch hart und ungerecht, zumal uns der Fall Ecclestone gelehrt hat, dass auch eine Anstiftung zur Untreue (oder war es Beihilfe?) mit einem Volumen von 44 Millionen Euro noch als Fall mittlerer Kriminalität angesehen und gegen eine Geldauflage von 100 Millionen US-Dollar als geringfügig eingestellt werden kann.

Vor drei Wochen ist ein Mandant von mir vom Landgericht Hagen wegen Betruges in 25 Fällen mit einem Gesamtschaden von ca. 30.000 Euro zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Angeklagt waren zunächst 65 Fällen, 40 davon sind im Hinblick auf den Rest eingestellt worden. Wir haben gekämpft, haben ein Sachverständigengutachen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit einholen lassen, der Mandant hat sich zur Schadenswiedergutmachung nach besten Kräften bereit erklärt und ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er war bislang nicht vorbestraft, seine Taten waren – wovon auch das Gericht in seiner mündlichen Urteilsbegründung ausgegangen ist – zumindest teilweise altruistisch motiviert, weil er seine in wirtschaftliche Not gefallene und im Ausland lebende Familie unterstützen wollte. Als straferschwerend hat die Kammer angesehen, dass die Taten sich über mehrere Monate erstreckten, dass der Mann sich falsche Identitäten zugelegt und mit gefakten Personalpapieren unter fremdem Namen aufgetreten ist und Konten eröffnet hat, und dass er damit sehr planmäßig und mit hoher krimineller Energie vorgegangen sei. Als wenn das in den oben genannten kapitalen Fällen anders gewesen wäre.

Das Gericht hat fair verhandelt und – wie auch der Staatsanwalt in seinem Plädoyer – darauf hingewiesen, dass der Angeklagte ein sympathischer junger Mann sei, der es nicht ganz leicht im Leben gehabt habe, und dass man ihm ganz ehrlich für die Zukunft alles Gute wünsche. Aber Art und Umfang der Taten ließen beim besten Willen keine bewährungsfähige Strafe mehr zu.

Beim besten Willen…  Was heißt das eigentlich? Natürlich hätte man einen Weg finden können, bei moderater Anhebung moderater Einzelstrafen auch noch zu einer Bewährungsstrafe zu kommen. Aber das Gericht hat das nicht mehr für angemessen gehalten. Das muss ich als Verteidiger akzeptieren und kann es auch durchaus nachvollziehen.

Schlimm ist nur der Vergleich mit den anderen Fällen. Hier handelt es sich zugegebenermaßen jeweils um Ausnahmeentscheidungen, die aber den Geruch von Klassenjustiz aufkommen lassen. Über das Hoeneß-Urteil habe ich im strafblog ja schon mehrfach geschrieben. Im Falle meines Mandanten hat das Gericht auf Normalmaßstäbe zurückgegriffen, aber wie soll ich das dem jungen Mann so erklären, dass er sich nicht ungerecht behandelt (oder schlimmstenfalls schlecht verteidigt) fühlt?

Strafzumessung ist in vieler Hinsicht nicht mit rationalen Maßstäben fassbar. Die formalen Kriterien sind weitgehend im Gesetz und in der Rechtsprechung festgelegt, aber die die Ergebnisse fallen unglaublich unterschiedlich aus, so dass Zweifel angebracht sind, ob das tatsächlich noch etwas mit Recht oder gar mit Gerechtigkeit zu tun hat. Ich habe Fälle erlebt, in denen für gleichgelagerte Taten so irrwitzig auseinanderfallende Strafen ausgeurteilt wurden, dass jedes Kopfschütteln gerechtfertigt ist. Und andere Fälle, in denen für weit auseinanderfallendes Unrecht gleichhohe Strafen verhängt wurden, obwohl das auch eine Gesamtschau aller Stafzumessungskriterien hätte verbieten müssen.

Ein wesentlicher Faktor ist sicher schon die Mentalität und Grundeinstellung des Gerichts, insbesondere des oder der Vorsitzenden. Da gibt es Hardliner, die gerne Exempel statuieren und sich selbst als unfehlbare Gutmenschen ansehen, oder den Papa oder die Mama Gnädig, der oder die nur ungern straft und jedem Delinquenten auch noch die zweite und dritte Chance zubilligt. Es gibt Moralisten und Technokraten unter den Richtern und Launebären, die heute so und morgen anders drauf sind. Skurrile Persönlichkeiten wie der als „Richter Gnadenlos“ bekanntgeworden früher Hamburger Innensenator Ronald Schill spielen Schicksal für Menschen, denen sie mit all ihren bizarren Vorurteilen begegnen. In Köln gab es mal den berühmt-berüchtigten Richter de Somoskeoy, der über Jahre hinweg allseits anerkannt viele unsägliche Urteile fällte und in Dutzenden oder nach mehr Fällen Strafanzeigen gegen Journalisten erstattet hat, die ihn kritisiert haben. I

ch habe vor Jahren mal einen Mann verteidigt, der gemeinsam mit einem Mittäter einen nicht ganz unbeachtlichen Raubüberfall begangen hatte. Wir hatten das Glück, bei einer milden Kammer zu landen, die ihn zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt hat. Der Mittäter, der zunächst flüchtig war, wurde später bei einer anderen Kammer angeklagt, die für ihn geschäftsplanmäßig zuständig war. Diese Kammer war weniger milde und stand schon fast traditionell wegen sehr unterschiedlicher Grundauffassungen auf Kriegsfuß mit der milden Kammer. 6 Jahre lautete das Urteil bei durchaus vergleichbarer Vorstrafenlage, und auch die übrigen Strafzumessungskriterien konnten keinen Anlass für einen solch gewaltigen Unterschied geben. Beide Urteile sind rechtskräftig geworden.

Vor vielen Jahren habe ich mal bei der gefürchteten 12. Kammer in Düsseldorf unter dem Vorsitz des Richters Strauß in einer Betäubungsmittelangelegenheit, in der es um 10 Kilo Cannabis ging, eine sensationell niedrige Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten erreicht. Das war zu Zeiten, als für Cannabis noch viel höhere Strafen verhängt wurden als heutzutage. Mein Mandant, der in Untersuchungshaft gesessen hatte, war begeistert und vermittelte mir einen Mitgefangenen, dem als gerade 21-Jährigem die Einfuhr von 200 Gramm Cannabis aus den Niederlanden zur Last gelegt wurde. Als Kurier soll er damals 200 DM Lohn erhalten haben. Vor dem Schöffengericht in Neuß wurde der junge Mann dann unter meiner Verteidigung zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt, die wir erst im Berufungsverfahren zu einer Bewährungsstrafe umgewandelt bekamen. Am besseren Anwalt kann das Urteil des 12-Kilo-Mandanten nicht gelegen haben, es war ja derselbe.

„Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand“, lautet ein altes Sprichwort, und irgendwie ist da was dran. „Vor Gericht kriegst du kein Recht, sondern ein Urteil“, lautet eine andere Weisheit, auch der kann ich nicht immer widersprechen. Trotzdem denke ich, dass das Gros der Strafen, die in Deutschland verhängt werden, zumindest vertretbar und oft auch in Ordnung geht, auch wenn es den Angeklagten nicht immer gefällt. Notwendigerweise muss ein Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum haben. Wobei gerade in Grenzfällen, wenn es zum Beispiel um die Frage der Bewährungsfähigkeit geht, auch ein Quäntchen Glück (und bisweilen auch eine gute Verteidigung) dazu gehört, auf welche Seite der Würfel fällt.

Aber die Zahl der unvertretbar harten oder manchmal auch unvertretbar milden Strafen ist nach meiner Beobachtung trotzdem noch erschreckend hoch, wobei auch das eine Frage subjektiver Wertung ist. Für den Angeklagten kann das in die eine oder andere Richtung lebensentscheidend sein. Ich habe hier nur über Strafzumessung geschrieben. Dass Urteile auch auf fehlerhafter Beweiswürdigung und unzutreffender Tatsachenfeststellung beruhen können, steht auf einem anderen Blatt.


Kategorie: Strafblog
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