Tag der Arbeit



Veröffentlicht am 30. April 2013 von

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10. 30 h. Endlich mal früh im Büro. „Guten Morgen! Alles im Griff?“, flirte ich Bettina an der Zentrale an und gehe schnurstracks in die Küche, um mir meinen verdienten Kaffee zu holen. Ich betrete mein Büro und erschaudere. Keine einzige Akte. Weder auf dem Tisch, dem Sideboard oder auf dem Boden, wo sie sich früher stapelten. Ich schnapp mir die Maus und blättere durch meinen Terminkalender. Keine Termine, nicht ein einziger. Zufrieden schmeiß ich mich auf meinen Chefsessel, lege die Beine hoch und rufe: „Wo ist die Zeitung?“ Sofort erscheint eine langbeinige Blondine und überreicht mir mit einem strahlenden Lächeln die Tageszeitung. „Oh, Sie sind neu hier?“, frage ich angenehm verdutzt. „Ja!“, säuselt sie mit russischem Akzent und fragt: „Darf ich Ihnen noch einen Kaffee bringen?“ Ich nutze die Gunst der Stunde. „Wie wäre es mit einem klitzekleinen Gläschen Krimsekt?!“, antworte ich in aller Bescheidenheit.

Während ich den Sekt schlürfe und meine Zeitung lese, fällt mir diese himmlische Ruhe auf. Kein Telefon klingelt. Ich überprüfe mein Handy. Es ist eingeschaltet. Der Tag fängt gut an.

Ich lese, dass mein Kollege Pohlen gerade an einem spektakulären Fall arbeitet. Gut getroffen blickt er mir ernst aus der Zeitung entgegen. Ein gutes Foto und eine gute Presse für die Kanzlei.

Ich lese den nächsten Beitrag. Langweilig! Immer die gleiche Scheiße. Ich beschließe, keine Tageszeitungen mehr zu lesen. Gibt ja auch gute Romane, die man sich bringen lassen kann. Genau! Endlich mal eine durchgreifende Entscheidung. Meine Beine drohen auf dem Tisch einzuschlafen. Ein Rundgang durch´s Büro würde mir guttun. Vielleicht ist Rainer da und aufgelegt für ein Schwätzchen über die wichtigen Dinge des Lebens.

Ich richte mich auf und strecke mich, ehe ich den langen Gang entlang zu seinem Büro schlendere. Ohne zu klopfen, stoße ich seine Türe auf. Er ist mal wieder nicht da! Sein Büro ist ein einziges Chaos. Überall Aktenberge, aufgeschlagene Bücher und Schmierzettel. Verwundert runzele ich die Stirn über seine Arbeitsmoral. Da fällt es mir ein. Er hat diese Woche ja mal wieder auswärtige Verhandlungen – Thüringen, München, Hamburg. Der arme Kerl. Immer auf Reisen. Kein Wunder, dass er nicht zum Aufräumen kommt.

Das Wort „Reisen“ hallt in meinem Kopf nach, und ich beschließe, den Arbeitstag sinnvoll zum Abschluss zu bringen. Mit nun entschiedeneren Schritten eile ich zum Empfang und sage: „Bettina, könntest du mir eine kleine Mallorca-Reise buchen? So für 10 Tage. Muss keine 5 Sterne haben. Ist noch Geld im Safe? Mach mir doch einen Umschlag fertig – so 6.000 € dürften reichen. Okay? Und wenn jemand anruft, sag was von  auswärtigen Terminen oder so! Und grüß mir Rainer, falls er diese Woche noch reinkommt.“

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

 

 


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