Da habe ich gestern mal wieder was dazugelernt. Zum Beispiel, welche Meinung man zu der Frage vertreten kann, wann ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Aber jetzt mal der Reihe nach:
Ich hatte in meinem letzten strafblog-Beitrag berichtet, dass ich bislang vergeblich auf die im Rechtshilfewege eingeholte Aussage eines ostasiatischen Zeugen gewartet hatte, die mir durch die Geschäftsstelle des Amtsgericht schon letzte Woche zugesandt worden war. Knapp zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn kam die Postsendung dann doch noch, so knappe 40 Seiten, die waren schnell gelesen und mit dem Mandanten besprochen. Dann ging´s zum Gericht nach Düsseldorf, wo man schon auf uns wartete.
Vorsorglich bat ich darum, mich dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beizuordnen, da es ja theoretisch ein langer Prozess hätte werden können. Betrug und Urkundenfälschung in zwei Fällen war angeklagt, es ging um insgesamt über eine Million Euro, Auslandszeugen spielten eine Rolle, möglicherweise wäre ein komplexer Tathintergrund aufzuklären gewesen. Ich hatte auch einige Beweisanträge vorbereitet, nur für den Notfall, falls kein schneller Freispruch erzielbar wäre.
Die erste Überraschung war, dass der alterfahrene Staatsanwalt dem Beiordnungsantrag widersprach. Er sehe nicht, womit ein Fall notwendiger Verteidigung begründet werden könne, meinte er, der Angeklagte sei schließlich nicht vorbestraft. „Na ja“, meinte ich, „es geht immerhin um recht opulente Vorwürfe, die beim Schöffengericht angeklagt sind, da lässt sich Ihre Rechtsauffassung wohl schwerlich vertreten. Aber wenn Sie meinen, dass es sich um ein Bagatelldelikt handelt…“. Der Staatsanwalt blieb bei seiner Auffassung, aber der Richter war dann doch anderer Auffassung und gab meinem Antrag statt.
Ich habe ein opening statement zur Anklage abgegeben und mein Erstaunen über den Tatvorwurf geäußert, für den es nach Aktenlage kaum Anknüpfungstatsachen gebe. Deshalb werde auch zunächst auf eine Einlassung zur Sache verzichtet. Man wisse doch über einen etwaigen Tatbeitrag meines Mandanten nur, dass Geld auf sein Firmenkonto angewiesen worden sei, aber dass er die Zahlung selbst oder zurechenbar über andere veranlasst habe, sei völlig unklar. Der Vertreter der Geschädigten habe selbst angeben, meinen Mandanten nicht zu kennen und nie Kontakt zu ihm gehabt zu haben, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass meinem Mandanten die Vertragsgrundlagen für die Zahlung überhaupt bekannt gewesen sind oder dass er die angeblich gefälschten Urkunden je gesehen habe. Eigentlich wüssten wir überhaupt nichts zu der Rolle des Angeklagten in der ganzen Geschichte und insoweit sei auch nichts ermittelt worden.
Wir haben zwei Polizeizeugen gehört, die auch nur bekunden konnten, dass offensichtlich Gelder auf das Konto meines Mandanten angewiesen worden seien. Zu den Hintergründen könnten sie nichts sagen. Ob der Angeklagte Kontakt zu den Vertragspartnern der Geschädigten gehabt habe, wisse man nicht. Man gehe davon aus, dass der Angeklagte nur eine Briefkastenfirma unterhalten habe, aber richtige Ermittlungen dazu habe es nicht gegeben. Jedenfalls erinnere man sich nicht.
Konkrete Tathandlungen des Angeklagten habe man auch nicht ermittelt. Aber irgendeinen Grund müsse es gehabt haben, dass das Geld an ihn überwiesen worden ist.
Das war dann alles. Während die Schöffen im Selbstleseverfahren die Rechtshilfeunterlagen studierten, habe ich mit dem Staatsanwalt gesprochen. Der meinte, dass er eigentlich nichts gegen meinen Mandanten in der Hand habe. Er könne auch nur spekulieren. Aber das reiche natürlich nicht für eine Verurteilung, das wisse er auch.
Der Staatsanwalt hat folglich auf Freispruch plädiert. Ich habe den Vorsitzenden gefragt, ob ich ausführlich plädieren solle. „Ist nicht nötig“, meinte der, also habe ich mich kurz gefasst. Nach einer Nettoverhandlungsdauer von 45 Minuten war dann alles vorbei. Fast 6 Jahre nach Anklageerhebung gab es den Freispruch, der am besten dadurch hätte vermieden werden können, dass gar keine Anklage erhoben worden wäre. Denn hinreichender Tatverdacht hat nach meiner Auffassung von Beginn an nie bestanden. Zumindest hätte dazu eine Menge mehr ermittelt werden müssen.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Wann liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor? – Freispruch bei Millionenbetrug nach 45 Minuten Verhandlung
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vor: Der Hoeneß-Faktor im Steuerstrafrecht
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