Termin geplatzt: Ein überraschend geladener Zeuge als Grund für die Besorgnis der Befangenheit oder für die Aussetzung des Verfahrens



Veröffentlicht am 20. Februar 2014 von

 

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Unverhofft kommt oft, wie man weiß. Gestern führte ein unverhofft geladener Zeuge im Mönchengladbacher Satudarah-Prozess zu einigen Diskussionen und Anträgen und zu einem schnellen Ende des Verhandlungstages.

Was war geschehen? Am frühen Dienstagnachmittag hatte die Geschäftsstelle des Landgerichts der Verteidigung per Telefax mitgeteilt, dass am kommenden Tag in Abweichung von dem bislang besprochenen Programm ein weiterer Zeuge geladen worden sei, der sich in einem Zeugenschutzprogramm befindet und mit polizeilicher Begleitung und unter erheblichen zusätzlichen Sicherungmaßnahmen vernommen werden solle. Unter anderem müssten alle Zuschauer entgegen den in Mönchengladbach üblichen Gepflogenheiten vor Betreten des Gerichtssaales ihre Handys abgeben und ihre Personaldaten würden registriert.

Ich selbst habe das Fax erst nach meiner Rückkehr von einem aushäusigen Termin gegen 16:30 Uhr zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt für einen Düsseldorfer Kollegen, der einen der beiden Mitangeklagten verteidigt. Unsere Mandanten befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft, nachdem die Kammer in der vergangenen Woche einen Antrag auf Aufhebung oder zumindest Außervollzugsetzung des Haftbefehls abgelehnt hatte. Eine Rücksprache mit den Mandanten war deshalb erst gestern unmittelbar vor der Hauptverhandlung möglich.

Der Düsseldorfer Kollege hat die sehr späte Unterrichtung über die beabsichtigte Zeugenvernehmung zum Anlass genommen, gegen den Vorsitzenden Richter einen Befangenheitsantrag zu stellen. Die gerichtliche Fürsorgepflicht gebiete es, die Verteidigung bzw. eigentlich den Angeklagten so frühzeitig auf die Zeugenladung hinzuweisen, dass eine Vorbereitung auf den Termin möglich sei. Das ergebe sich auch aus § 222 StPO. In Anbetracht der angeordneten Sicherheitsmaßnahmen und der vom Gericht in die Wege geleiteten Begleitung des Zeugen durch Beamte einer auswärtigen Polizeidienststelle sei davon auszugehen, dass das Gericht die Zeugenladung bereits vor mehr als 3 Tagen initiiert, die Verteidigung aber erst auf den letzten Drücker unterrichtet habe. Der Kollege hat das natürlich anders ausgedrückt, aber so lässt sich das mit wenigen Worten zusammenfassen. Das Verhalten des Vorsitzenden erwecke den Eindruck, dass diesem nicht daran gelegen sei, dass die Verteidigung sich ordnungsgemäß und sachgerecht auf die Vernehmung des betreffenden Zeugen vorbereiten könne, meinte der Kollege. Dies verletze den Grundsatz des fairen Verfahrens.

Mein Mandant hat sich dem Befangenheitsantrag zwar ausdrücklich nicht angeschlossen, aber ich habe in Abstimmung mit ihm einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 246 Abs. 2 StPO gestellt. Beiden Anträgen hat der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft widersprochen. Der Zeuge sei in der Anklage immerhin als Beweismittel erwähnt, deshalb hätte die Verteidigung auch jederzeit damit rechnen müssen, dass er geladen würde, hat er sinngemäß argumentiert. Ich habe dem unter Bezugnahme auf die einschlägige Kommentierung und die Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Hamm NStZ-RR 2012, 58) entgegengehalten, dass § 222 StPO den ausdrücklichen Zweck verfolge, dem Angeklagten und den übrigen dort genannten Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu geben, sich auf eine konkrete Beweisaufnahme vorzubereiten. Bei weitem nicht jeder Zeuge, der in umfangreichen Anklagen als Beweisperson benannt wird, werde später auch tatsächlich gehört. Bislang sei die Vernehmung dieses Zeugen nicht beschlossen gewesen und hätte allenfalls als Möglichkeit im Raum gestanden. Ich habe weiterhin darauf hingewiesen, dass die Namhaftmachung eines geladenen Zeugen (wohlgemerkt: geladen muss er sein!) gegenüber dem Angeklagten erfolgen müsse, und zwar rechtzeitig, damit dieser sich vorbereiten und ggfs. Erkundigungen über den Zeugen einholen könne. Die Mitteilung an die Verteidigung genüge jedenfalls dann nicht, wenn diese so kurzfristig erfolge, dass keine Gelegenheit mehr bestehe, den Mandanten früh genug zu unterrichten.

Das Gericht hat über den Befangenheitsantrag beraten. Der abgelehnte Vorsitzende hat eine dienstliche Äußerung abgegeben und bekundet, dass der tatsächliche Vortrag im Antrag zutreffend sei, es habe ihm aber ferngelegen, die Rechte der Verteidigung bzw. der Angeklagten zu beeinträchtigen. Diesen Rechten könne auch dadurch Rechnung getragen werden, dass der Zeuge auf entsprechenden Wunsch der Verteidigung nach seiner ersten Vernehmung noch nicht endgültig entlassen werde, sondern unter Bewilligung einer ausreichenden Vorbereitungszeit noch einmal geladen würde.

Ich kenne den Vorsitzenden seit vielen Jahren und bin mir sicher, dass er tatsächlich nichts Böses im Schilde führte und nur pragmatisch sein wollte. Auch deshalb habe ich meinem Mandanten nicht zugeraten, sich dem Befangenheitsantrag anzuschließen. Obwohl – es kommt ja bekanntlich nicht auf die Frage an, ob ein Richter tatsächlich befangen ist, sondern nur darauf, ob sein Verhalten aus der objektivierten Sicht eines besonnenen Angeklagten die Besorgnis begründen kann. Darüber werden jetzt andere Richter befinden.

Die mit großem Aufwand vorbereitete Zeugenvernehmung ist jedenfalls geplatzt. Polizei und Zeuge mussten unverrichteter Dinge wieder fahren und werden jetzt zu einem späteren Termin erneut anreisen müssen, falls nicht – was ja auch sein kann, aber nicht unbedingt wahrscheinlich ist – der ganze Prozess wegen des Befangenheitsantrages mit anderer Besetzung neu begonnen werden muss. Ich werde berichten.

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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