Im Jahr 1990 war die aus Berlin stammende damals 25-jährige Debra Milke durch ein Gericht im US-Bundesstaat Arizona zum Tode verurteilt worden, weil sie zwei Killer angeheuert haben soll, ihren vierjährigen Sohn zu töten, um eine hohe Versicherungssumme zu kassieren. Die beiden Männer, James Styers und Roger Scott, sitzen bis heute in der Todeszelle und schweigen beharrlich. Einer von ihnen hatte allerdings seinerzeit eingeräumt, den Jungen in die Wüste gebracht und dort erschossen zu haben. Den Auftraggeber hatte er nie benannt.
Die Verurteilung von Debra Milke beruhte diversen Presseberichten zufolge im Wesentlichen auf der Aussage des polizeilichen Ermittlungsleiters Armando Saldate, der angegeben hatte, Milke habe ihm ihre Tatbeteiligung gestanden. Das hatte die heute 49-jährige Frau immer bestritten. Es gab weder ein schriftliches Protokoll über das Geständnis noch eine Tonaufnahme oder weitere Zeugen der Vernehmung. Den Geschworenen war im Prozess nicht mitgeteilt worden, dass Saldate schon einmal wegen eidlicher Falschaussage vor Gericht verurteilt worden war. Ich habe über das Verfahren im strafblog bereits berichtet.
Das Berufungsgericht in Phoenix/Arizona hat jetzt entschieden, dass die Mordanklage fallen gelassen wird, ohne dass es eine neue Verhandlung geben soll. Eine erneute Verhandlung verstieße nach Auffassung des Gerichts gegen die US-Verfassung, wonach niemand für dieselbe Tat zweimal vor Gericht gestellt werden dürfe. Das verwundert mich in Anbetracht der Tatsache, dass es ja um ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten der Verurteilten gehen würde. Aber letztlich fehlen mir da die erforderlichen Kenntnisse des dortigen Strafprozess- und Verfassungsrechts. Die Staatsanwaltschaft hat wohl auch eine andere Rechtsauffassung und hat angekündigt, den Fall vor den Obersten Gerichtshof von Arizona zu bringen.
In ihrer Entscheidung haben die Richter klargestellt, dass sie nicht über Schuld oder Unschuld von Debra Milke entschieden hätten, sondern allein über die (Un-)Zulässigkeit eines neuen Verfahrens. Im Herbst des vergangenen Jahres hatte ein Gericht das Urteil aus dem Jahr 1990 wegen Zweifeln an der Beweislage für ungültig erklärt und die bedingte Freilassung der Frau, die 23 Jahre in der Todeszelle gesessen hatte, angeordnet.
Die jetzt entscheidenden Richter haben massive Kritik an der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft geübt und von einem „ungeheuren staatswaltlichen Fehlverhalten“ gesprochen. Das Rechtssystem des Bundesstaates sei durch die vielen Rechtsverstöße „schwer befleckt“ worden.
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Ungeheures staatsanwaltliches Fehlverhalten“ – Gericht lässt Mordanklage gegen Debra Milke nach 24 Jahren fallen
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