„Staatskasse geentert“ überschreibt die Süddeutsche Zeitung einen Beitrag über die Kosten des im letzten Jahr zu Ende gegangenen Hamburger Piratenprozesses und das Hamburger Abendblatt mokiert sich mit der Schlagzeile „Pflichtverteidiger dürfen 1. Klasse Bahn fahren“ über die hohen Verfahrenskosten und das Luxusleben der Verteidiger.
3,4 Millionen Euro habe das 105 lange Verhandlungstage währende Verfahren die Hansestadt gekostet und sei damit das teuerste der Hamburger Justizgeschichte gewesen. Allein die 20 Pflichtverteidiger hätte 940.000 Euro kassiert, wovon 240.000 Euro auf Fahrtkosten entfallen seien. Die auswärtigen Verteidiger aus Frankfurt, Mönchengladbach (das war ich) und Dortmund seien – welch ein Luxus! – 1. Klasse mit der Bahn angereist. Nach einer Studie der Justizbehörde ließen sich die Kosten unter anderem dadurch beschränken, dass Verteidiger zukünftig nur noch das billigste Verkehrsmittel wählen dürften, wie dies etwa für Richter nach dem Bundesreisekostengesetz gelte.
Insgesamt, so sueddeutsche.de, hätten die Pflichtverteidiger jeweils pro Prozesstag knapp 450 Euro kassiert.
Als einer der gierigen Verteidiger möchte ich hierzu doch ein paar Anmerkungen machen.
1. Die tatsächlichen Kosten des Verfahrens einschließlich der Haftkosten und der Ohnehin-Kosten, also Besoldung von Richtern und Staatsanwälten sowie Justizbediensteten und Wachpersonal und der Haftkosten dürften deutlich höher gelegen haben als 3,4 Millionen Euro. Immerhin waren an jedem Verhandlungstag neben den 20 Pflichtverteidigern 4 Berufsrichter, zumeist 2 Staatsanwälte, 2 oder 3 Dolmetscher, 3 Schöffen, 10 Saalwachtmeister, 1 Protokollführer sowie auch die Geschäftsstelle des Gerichts mit der Sache befasst. Hinzu kommen die Kosten des Fahrtdienstes und des Personals im Vorführtrakt des Gerichts, des immer wieder zum Einsatz kommenden medizinischen Personals, der diversen Sachverständigen, der Zeugen, sowie Haftkosten von geschätzt 150 bis 200 Euro pro Tag und „Pirat“. Ich denke, dass die Gesamtkosten eher bei 10 Millionen Euro als bei 3,4 Millionen Euro liegen, wenn man auch die zukünftigen Haftkosten der zu langjährigen Strafen verurteilten erwachsenen Angeklagten mitrechnet.
2. Die auswärtigen Verteidiger sind – wie ich weiß – ganz überwiegend frühmorgens gegen 5 Uhr in den Zug gestiegen und nach Hamburg gefahren und haben auf teure Inanspruchnahme von Hotels verzichtet. Als sich abzeichnete, dass sich das ursprünglich auf 3 ½ Monate terminierte Verfahrens deutlich verlängern würde, haben die meisten eine Bahncard erworben und so die Fahrtkosten deutlich gesenkt. Ich selbst bin übrigens – anders als die meisten Kollegen – immer in der 2. Klasse gefahren, wenn dort ein Sitzplatz zu ergattern war. In Anbetracht der kärglichen Pflichtverteidigervergütung ist die Reise in der zumeist nicht ganz so voll besetzten 1. Klasse für viele Anwälte weniger Luxus als Notwendigkeit, weil dort noch ein wenig gearbeitet werden kann, um die lange Abwesenheit von der Kanzlei zumindest stückweise zu kompensieren.
3. Die Vergütung von durchschnittlich 450 Euro pro Verhandlungstag einschließlich der Fahrtkosten ist betriebswirtschaftlich gerechnet jämmerlich. Als ich mich dazu entschlossen habe, die Verteidigung zu übernehmen, war mir klar, dass dies ein Zuschussgeschäft werden würde. Wegen der historischen Bedeutung des Verfahrens und weil mich die Sache auch ansonsten reizte, war ich bereit, dies für ein paar Monate in Kauf zu nehmen. Dass das Verfahren fast 2 Jahre dauern würde, war nicht abzusehen. Ich habe errechnet, dass ich – wenn ich die Fahrtzeiten mitrechne – auf einen Stundensatz von etwa 16 Euro gekommen bin, was bei weitem nicht einmal die auf mich entfallenden laufenden Kanzleikosten abdeckt. Ich habe inzwischen einen Pauschantrag gestellt, um wenigstens eine etwas mehr kostendeckende Gesamtvergütung zu erhalten. Darüber ist noch nicht entschieden worden. Wirtschaftlich betrachtet war die Verteidigung in dem Verfahren de facto ein Desaster, das man sich nur ausnahmeweise leisten kann und auch nur, wenn die Geschäfte ansonsten halbwegs gut laufen.
4. Man kann sich nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen die Frage nach dem Sinn solcher Verfahren stellen. Natürlich ist es abstrus, dass die Gesamtkosten des Verfahrens gegen 10 Piraten dazu ausreichen würden, in Somalia ein paar 10.000 Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Es sind insoweit ja schon eine Menge Erwägungen angestellt worden, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte. Aber eines steht fest: Die Pflichtverteidiger haben gewiss nicht die Staatskasse geentert. Eher ist umgekehrt unsere Kasse geentert worden.
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