Von Piratenangriffen, Weltrechtsprinzip, Tateinheit und Spezialitätsgrundsatz



Veröffentlicht am 25. April 2012 von

Hamburger Strafjustizgebäude

Gestern wurde es im Hamburger Piratenverfahren richtig interessant. Zunächst einmal im tatsächlichen Bereich. Der seit einigen Verhandlungstagen sehr redefreudige Angeklagte Khalief D. hatte war in der vorletzten Woche außerhalb der Hauptverhandlung durch Oberstaatsanwalt Giesch-Ralf vernommen worden, nachdem er angekündigt hatte, er wolle mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten und weitergehende Angaben zu Themen machen, über die er in der öffentlichen Hauptverhandlung nicht sprechen wollte. Ich weiß nicht, was den Mann geritten hat, was ihm möglicherweise dafür an Strafmilderung in Aussicht gestellt wurde und welchen Einfluss seine Verteidigung auf ihn hat, aber die ergänzenden Angaben belasten sowohl ihn selbst als auch etliche Mitangeklagte erheblich. Khalief D. gab nämlich an, er und weitere 6 Angeklagte hätten nicht nur – was allein Gegenstand der Anklage ist – den deutschen Frachter MS Taipan gekapert. Zuvor habe man auch die Dhau, die als sogenanntes Mutterschiff bei der Kaperung eingesetzt wurde, gekapert und sich der Besatzung bemächtigt. Vor dem Angriff auf die MS Taipan seien noch zwei weitere Angriffe auf andere Schiffe, nämlich einen Tanker und einen spanischen Fischtrawler, erfolgt, die aber  abgebrochen werden mussten.

Der Oberstaatsanwalt hatte zu der Vernehmung einen Vermerk verfasst und diesen zur Akte gereicht. Vielleicht hatte er sich davon ja erhofft, die inzwischen erfolgte Freilassung der 3 unter  Jugendrecht fallenden Angeklagten verhindern zu können. Dadurch sind die Angaben von Khalief D. entgegen seiner erklärten Absicht  natürlich doch zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden. Ich denke, dass seine Verteidigung ihn über diese Gefahr vor seiner Vernehmung aufgeklärt hatte.

Zu den neuen Angaben von Khalief. D. hat Staaatsanwaltschaft die Auffassung vertreten, diese Akte der Piraterie stellten eine rechtliche Handlungseinheit mit der Kaperung der MS Taipan dar und könnten daher ohne Nachtragsanklage mitverhandelt werden. Dem trat der Vorsitzende gestern nach Beratung mit den übrigen Kammermitgliedern deutlich entgegen. Die Kammer tendiere zu der Auffassung, dass die von Khalief D. behaupteten weiteren Straftaten – wenn die Angaben denn zutreffend sein sollten –  in Realkonkurrenz zur Kaperung der MS Taipan stehe. Insbesondere entfalte die Tatsache, dass die entführte Dhau als Mutterschiff eingesetzt werden sollte, keine eine rechtliche Handlungseinheit begründende Klammerwirkung. Jedem Angriff sei vorbehaltlich anderer noch zu treffender Erkenntnisse ein neuer Tatenschluss vorausgegangen. Vor dem Angriff auf die MS Taipan sei man nach Angaben von Khalief D. noch zu einem Hafen zurückgekehrt und habe dort Proviant sowie weitere Angeklagte an Bord genommen. Dies stelle wohl eine Zäsur da. Auch unterfalle die Geiselnahme an der indischen Besatzung der Dhau nicht dem Weltrechtsprinzip und damit auch nicht der deutschen Strafjustiz. Folglich könne diese Geiselnahme auch keine Klammerwirkung entfalten. Eine Einbeziehung der Taten sei im Übrigen auch deshalb nicht möglich, weil dies dem im Auslieferungsrecht geltenden Spezialitätsgrundsatz zuwiderlaufen würde. Die Auslieferung der Angeklagten durch die niederländische Justiz sei nämlich ausschließlich wegen des Angriffs auf die MS Taipan erfolgt, andere Taten dürften nicht – auch nicht im Rahmen der Strafzumessung – berücksichtigt werden.

Die Kammer hat keinen förmlichen Beschluss verkündet, sondern in gewohnt sorgfältiger Form nur ihre vorläufige Rechtsansicht geäußert. Die Staatsanwaltschaft hat keine Stellung genommen und sich Bedenkzeit erbeten.

Unabhängig hiervon kann es aber trotzdem zur Vernehmung von Besatzungsmitgliedern der Dhau kommen, weil diese gegebenenfalls Angaben zur Rollenverteilung unter den Angeklagten und zu der Behauptung des ältesten Angeklagten Aden A. machen können, er sei zur Beteiligung an der Kaperung mit Waffengewalt gezwungen worden. Ich habe hierzu im strafblog schon mehrfach berichtet, so am 16.4. unter dem Titel „Noch ein paar Bömbchen im Piratenprozess geplatzt – Bald fahren wir nach Mumbay, oder ?„.

Khalief D. hat sich gestern in der Verhandlung nicht weiter zu seinen Angaben gegenüber dem Staatsanwalt geäußert. Er müsse erst noch einmal mit seinen Anwälten sprechen.Er blieb aber bei seiner bisherigen, die übrigen Angeklagten belastenden Einlassung. Soweit diese ihn als Lügner dargestellt hätten, wollten sie ihn nur unglaubwürdig machen. Allerdings hat Kahalief D. dann auf viele Nachfragen des Gerichts, das ihn mit den Angaben der Mitangeklagten konfrontierte, die Auskunft verweigert. Das dürfte seine Glaubwürdigkeit nicht gerade gesteigert haben, denke ich. Zwei Mitangeklagte hatten ihn als Anführer bezeichnet und sehr detaillierte Angaben zu seinen Familienverhältnissen und anderen biografischen Gegebenheiten gemacht. Seine Familie sei führend in die Organisation der Piraterie verwickelt und habe auch die Kaperung der MS Taipan finanziert. Khalief D. hat dies vehement bestritten.

Es bleibt spannend. Am Freitag geht es weiter in dem nicht enden wollenden Verfahren.


Kategorie: Strafblog
Permalink: Von Piratenangriffen, Weltrechtsprinzip, Tateinheit und Spezialitätsgrundsatz
Schlagworte: