Demnächst beginnt vor dem Bochumer Landgericht der Prozess gegen den von mir verteidigten früheren Bundesliga-Profi René Schnitzler. Ihm wird Betrug in mehreren Fällen und Steuerhinterziehung vorgeworfen, weil er angeblich mehrere Spiele des Hamburger Traditionsclubs FC St. Pauli manipuliert und hierfür von einem holländischen Wettpaten namens Paul Rooij einen sechsstelligen Betrag kassiert haben soll. Schnitzler, der mir ausdrücklich gestattet hat, seinen Namen hier zu erwähnen, bestreitet die Spielemanipulation, hat aber mehrfach öffentlich eingeräumt, erheblich spielsüchtig zu sein und unter dem Druck seiner Sucht von Rooij Gelder genommen zu haben. Diesen habe er in dem Glauben gelassen, dass er tatsächlich Mitspieler zu Manipulationen anstiften könne. Tatsächlich sind dann – aber das war Zufall – die ersten der angeblich manipulierten Spiele wunschgemäß ausgegangen, bevor der Faden riss und – so Schnitzler – Rooij mit seinen Wetten in die Röhre guckte. Unter dem Titel „Zockerliga“ ist über Schnitzler und die recht weit verbreitete Spielsucht im Profifußball ein Buch erschienen.
Mit Verweis auf seine massive Spielsucht hatte ich gegenüber dem Bochumer Landgericht angeregt, ein Sachverständigengutachten zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit Schnitzlers zur Tatzeit zu veranlassen. Ich hatte dem Gericht insgesamt 5 Sachverständige mit besonderen Erfahren im Bereich der Spielsucht benannt, von denen zumindest drei mir gegenüber erklärt hatten, sie seien in der Lage, das schriftliche Gutachten noch rechtzeitig bis zum Beginn der Hauptverhandlung vorzulegen. Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, von der Bestellung des Sachverständigen Dr. Leygraf, der von dem Kammervorsitzenden mir gegenüber ins Gespräch gebracht worden war, abzusehen, weil dieser unter anderem im „Handbuch der Forensischen Psychiatrie“ den Krankheitswert der Spielsucht in Frage stellt und damit auch in der Regel keine Grundlage für eine Anwendung des § 21 StGB sieht. Ich habe das gegenüber dem Gericht näher begründet.
Gleichwohl hat die Kammer es für richtig befunden, Dr. Leygraf zum Sachverständigen zu bestellen, wobei ihm zur Auflage gemacht wurde, in seinem Gutachten auch auf die von der Verteidigung angesprochenen Punkte einzugehen.
Ich halte diese Vorgehensweise für einen Affront gegenüber der Verteidigung. Zwar ist die Kammer bei der Auswahl eines Sachverständigen grundsätzlich frei. Anders als die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren (vgl. Nr. 70 Abs. 1 RiStBV) ist das Gericht nicht einmal verpflichtet, die Verteidigung an der Auswahl des Sachverständigen zu beteiligen. Es gibt – so hat es der BGH einmal ausgedrückt – keine „freie Arztwahl“ bei der Bestellung eines Sachverständigen. Gleichwohl ist das Gericht nicht daran gehindert, auf Wünsche und Bedenken der Verteidigung einzugehen. Ich habe vielfältig die Erfahrung gemacht, dass Gerichte jedenfalls dann, wenn brauchbare Argumente vorgetragen wurden, dem Ansinnen der Verteidigung zumindest insoweit nachgekommen sind, dass sie einen ausdrücklich unerwünschten Gutachter, der vom Gericht eigentlich präferiert wurde, nicht bestellt haben. Nicht selten ist auch der von mir vorgeschlagene Gutachter bestellt worden.
Warum das Bochumer Landgericht gegen das ausdrückliche Votum der Verteidigung an ihrem „Hausgutachter“ festhält, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls nicht im Sinne eines konstruktiven Verhandlungsklimas. Manche Richter klagen bisweilen über prinzipielle „Konfliktverteidigung“. Ich zähle mich zu den Verteidigern, die nicht von vornherein quasi standardmäßig den Konflikt suchen, sondern an einer konstruktiven, gegebenenfalls verfahrensverkürzenden Verhandlungsatmosphäre interessiert sind, so lange dies im Interesse des Mandanten liegt. Schade ist es, wenn das Gericht schon im Vorfeld eines Verfahrens trotz zahlreicher angebotener Alternativen diesen Weg nicht sucht. So ein „Herr-im-Hause-Standpunkt“ zu frühzeitigen Verhärtungen führen, die für niemanden hilfreich sind.
Kategorie: Strafblog
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