Der Hamburger Piratenprozess tritt auf der Stelle. Am gestrigen 73. Hauptverhandlungstag – wenn ich richtig gezählt habe – teilte der Vorsitzende Richter Dr. Steinmetz zunächst mit, dass ein vom ältesten somalischen Angeklagten gegen die Kammer gerichteter Befangenheitsantrag zurückgewiesen worden sei. Die Verteidiger waren über die Entscheidung schon vorab unterrichtet worden. Bevor der Vorsitzende die Beweisaufnahme erneut schließen konnte, kündigte der Frankfurter Strafverteidiger Oliver Wallasch für seinen Mandanten, gegen den die Staatsanwaltschaft satte 11 ½ Jahre Freiheitsstrafe beantragt hatte, einen weiteren Beweisantrag an. Der sehr umfangreiche Antrag richtete sich zum wiederholten Mal auf die Vernehmung von indischen Besatzungsmitgliedern der Dhow „Hud Hud“, die vor dem Überfall auf den deutschen Frachter MS Taipan als sogenanntes Mutterschiff gekapert worden war. Die Zeugen sollen nach dem Beweisantrag bekunden, dass der betreffende Angeklagte unter Waffenvorhalt gezwungen wurde, sich an der Kaperung der MS Taipan zu beteiligen und dass er sich insoweit in einem schuldbefreienden Nötigungsnotstand befunden habe. Ähnlich gelagerte Anträge der Verteidigung waren in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Begründung abgelehnt worden, es handele sich um bloße Beweisermittlungsanträge und die Angaben zu den Wohnsitzen der Zeugen in Mumbay/Indien seien zu unbestimmt, um die Zeugen laden zu können. Der neue Antrag war mit umfangreichen Darlegungen zum Aufenthalt der benannten Zeugen und mit weiteren tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen versehen, so dass die Kammer beraten musste. Das bedeutete zunächst wieder mehr als 2 Stunden Unterbrechung.
Da Rechtsanwalt Wallasch mitgeteilt hatte, dass er gegebenenfalls noch zahlreiche weitere Anträge stellen werde, habe ich als Verteidiger des jüngsten Angeklagten erneut angeregt, das Verfahren gegen meinen Mandanten und vielleicht auch gegen die anderen Angeklagten, die keine Anträge mehr zu stellen beabsichtigen, abzutrennen, um endlich zu einem Urteil zu kommen. Ich habe darauf verwiesen, dass das Hanseatische Oberlandesgericht in einem Beschluss über eine von mir gestellte Haftbeschwerde entschieden hat, dass der seit fast zwei Jahren bestehende Haftbefehl gegen meinen Mandanten nach Jugendrecht gerade noch verhältnismäßig sei (was ich entschieden bestreite) und dass jedenfalls bis spätestens Ende März eine Abtrennung und Entscheidung oder eine Haftentlassung erfolgen müsse.
Nach der Unterbrechung teilte der Vorsitzende Richter mit, dass die Kammer ernsthaft eine Abtrennung erwäge. Er fragte an, welche Angeklagten einer Abtrennung zustimmen und von wem nach derzeitigem Erkenntnisstand noch weitere Anträge zu erwarten seien. 6 Angeklagte ließen über ihre Verteidiger mitteilen, dass sie mit einer Abtrennung einverstanden seien und keine weiteren Anträge stellen wollen. Bei 3 Angeklagten besteht noch Beratungsbedarf, der Älteste ließ erklären, dass er gegen eine Abtrennung keine Einwände habe, aber eventuell noch viele Anträge stellen werde.
Am kommenden Mittwoch will die Kammer über eine Abtrennung entscheiden. Möglicherweise kann dann plädiert werden. In diesem Fall könnte es für meinen Mandanten und für andere Angeklagte bis Anfang März zu einem Urteil kommen. Aber wer weiß das schon in diesem an Überraschungen reichen Verfahren?
Kategorie: Strafblog
Permalink: Weitere Beweisanträge im Piratenprozess angekündigt – Wird gegen einzelne Angeklagte abgetrennt?
Schlagworte:
vor: Kneipenschlägerei – Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung...
zurück: Spaniens Rechte triumphiert: Berufsverbot gegen Richter Baltasar Garzón