Wenn ein Unternehmen in der Krise ist: Ab wann liegt Betrug zum Nachteil der Vertragspartner vor?



Veröffentlicht am 20. Februar 2013 von

Um vielfachen Betrug, Untreue und Beitragsvorenthaltung geht es in einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Mühlhausen in Thüringen, in dem ich als Verteidiger beteiligt bin und über welches der MDR gestern per Text, Video und Radiopodcast berichtet hat. Angeklagt ist der ehemalige Chef des zeitweise größten ostdeutschen Reiseveranstalters Schumann-Reisen, dessen Unternehmen etwa in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts in die Krise geraten ist. Hauptursache waren gravierende Ausfälle im Geschäft mit China-Reisen wegen der damals grassierenden Vogelgrippe. In der Folgezeit gab es umfangreiche Versuche, das Unternehmen zu retten. Unter Beteiligung von Banken und Versicherungen und mit Hilfe einer von diesen installierten Unternehmensberatung wurden seit Ende 2006 umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet, seit 2007 wurden auch wieder operative Gewinne erwirtschaftet. Was  blieb, war eine blianzielle Unterdeckung in Höhe von etwa 6 Millionen Euro, aber die Zukunftsprognose wurde durchgängig als positiv eingeschätzt. In die eigenen Tasche gewirtschaftet hat der Angeklagte nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils nicht, im Gegenteil, er hat sein privates Vermögen sowie Darlehen von Freunden und Bekannten in die Firma eingebracht, um diese zu retten. Letztlich blieben aber 350.000 Euro unbezahlte Rechnungen, nicht erstatte Reisekosten und nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung übrig, und das brachte den Mann schließlich auf die Anklagebank.

Eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten hat das Amtsgericht Gera erstinstanzlich gegen den nicht vorbestraften früheren Vorzeigeunternehmer verhängt. Eine martialische Strafe, wie ich finde. Ich habe schon viele Anlagebetrüger verteidigt, die systematische Betrugssysteme aufgebaut und aus purer Habgier nach dem Geld ihrer Kunden gegriffen haben und die bei höheren Schäden mit Bewährungsstrafen davongekommen sind. Warum also dieses Exempel?

Der Vorsitzende der Berufungskammer hat erkennen lassen, dass er die erstinstanzliche Strafe gar nicht für so überzogen hält, falls sich die Vorwürfe bestätigen sollten. Also müssen wir kämpfen. Ich habe erhebliche Zweifel, dass sich ein Betrugsvorsatz in den meisten Fällen nachweisen lassen wird. In den Jahren, in denen die 350.000 Euro offene Forderungen entstanden sind, hat die Firma andererseits Rechnungen in Höhe von mehr als 110 Millionen Euro bezahlt. Die Ausfallquote liegt demnach bei ca. 0,3 %. Da stellt sich doch die Frage, ob der Unternehmer tatsächlich damit rechnen musste, dass es zu nicht kompensierbaren Ausfällen kommen würde und ob er – was anscheinend die Auffassung des Gerichts ist – trotz der allseits bestätigten positiven Fortführungsprognose hätte Insolvenz anmelden müssen, um letzte Risiken auszuschließen. Ich denke nicht, aber darüber werden wir noch intensiv verhandeln müssen.

Das erstinstanzliche Verfahren hat mit einem anderen Verteidiger gerade mal 5 Stunden gedauert, runde 2 Stunden Pausen eingerechnet. Da ist nicht ernsthaft verhandelt worden. Jetzt sind 23 Verhandlungstage anberaumt … erst einmal. Mal sehen, wieviele Tage wir benötigen werden, kampflos werden wir kein Terrain freigeben. Aber vielleicht findet sich ja doch ein Weg zu einer brauchbaren Verständigung. Auch wenn´s mühsam wird.


Kategorie: Strafblog
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