Der Kollege Müller hat gestern im Blog „Kanzlei und Recht“ unter dem Titel „Manche Fragen sollte man sich als Verteidiger verkneifen“ über einen Mitverteidiger berichtet, der eine halbwegs entlastende Zeugenaussage zum Nachteil seines Mandanten kaputt gefragt hat. Müller spricht damit ein Problem an, das mir in vielen Strafprozessen immer wieder begegnet ist, nämlich das bei Verteidigern oft fehlende Bewusstsein über die Brisanz mancher Fragen und die in der Juristenausbildung deutlich zu kurz kommende bzw. gar nicht erst vorhandene Vermittlung von effektiven Fragetechniken.
Im Jurastudium, aber auch in der Referendarausbildung führen viele in der Berufspraxis außerordentlich bedeutsame Themenfelder ein Schattendasein. Zeugenpsychologie und der psychologisch geschickte Umgang mit Richtern, Staatsanwälten und Gutachtern, Vernehmungstechniken, forensische Psychiatrie und nicht zuletzt die hohe Kunst der Rhetorik und des Schlussvortrages – auch Plädoyer genannt -, all das wird allenfalls mal in nicht zur Pflichtausbildung gehörenden Kursen und Seminaren vermittelt, während ansonsten eine recht abstrakte Vermittlung von Normen sowie das Erlernen von Subsumtions- und Relationstechniken im Vordergrund steht.
Wie befrage ich als Verteidiger einen Zeugen vor Gericht und welche Fehler kann ich dabei machen? In der angelsächsischen und wohl auch in der US-amerikanischen Juristenausbildung wird das sehr viel intensiver gelehrt und gelernt als bei uns. Was ist der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Fragen, zwischen direkten und indirekten Fragen, was sind Suggestivfragen und wie verberge ich gegebenenfalls den suggestiven Charakter einer Frage, in welcher Reihenfolge gehe ich sinnvoller Weise mit den verschiedenen Fragetechniken um? Welchen Vorteil haben „yes-no-questions“ gegenüber „open questions“, wann wird aus einer offenen Frage eine „deadly question“ und wie vermeide ich das?
Ich erinnere mich an einen Vortrag zu diesen Fragen, den ich vor vielen Jahren einmal im Rahmen einer strafrechtlichen Fortbildungsveranstaltung gehört habe. Da wurde ein wunderbares Beispiel gebracht, das ich bis heute nicht vergessen habe. Der Verteidiger fragt den Zeugen: „Haben Sie gesehen, dass mein Mandant dem Tatopfer ein Ohr abgebissen hat?“ „Nein“, antwortet der Zeuge, „das habe ich nicht gesehen!“ Na prima, sollte man meinen, das war´s dann. Aber der wissbegierige Verteidiger fragt weiter: „Was haben Sie denn gesehen?“ Anwort: „Ich habe gesehen, wie Ihr Mandant das Ohr ausgespuckt hat!“ Bingo! Das war dann die berühmte Frage zu viel, die „deadly question“.
Offene Fragen lassen sich nicht immer vermeiden, aber sie können – siehe oben – gefährlich werden. Es gibt prozessuale Situationen, in denen kann eine einzige Antwort den Prozess entscheiden, zum Vorteil oder zum Nachteil des Mandanten. Als Verteidiger habe ich eine hohe Verantwortung für die Fragen, die ich stelle. Ich muss versuchen, die Antwort des Zeugen so gut wie möglich zu antizipieren. Komme ich zu der Erkenntnis, dass der Schuss nach hinten losgehen wird, stecke ich die Pistole besser wieder ins Halfter und verzichte auf die Frage. Sollen doch lieber die anderen, Richter, Staatsanwalt oder Nebenklägervertreter, den Mandanten zur Strecke bringen, aber jedenfalls nicht ich als sein Verteidiger. Um zu eruieren, mit welcher Antwort ich rechnen muss, sind indirekte Fragen, mit denen ich das Thema einkreise, bisweilen hilfreich. Allerdings muss ich dabei darauf achten, dass ich nicht zu offensichtlich auf die prekäre Frage zusteuere, weil diese dann gerne – wenn ich sie nicht stelle – von den anderen Verfahrensbeteiligten aufgegriffen wird. Da ist Fingerspitzengefühl und natürlich auch Erfahrung gefragt.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Wenn Verteidiger zu viel fragen: Fehler bei der Zeugenvernehmung und das abgebissene Ohr
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