Wer hat Grund, verärgert zu sein? Und warum kein sofortiger Freispruch?



Veröffentlicht am 3. November 2014 von

Einseitensensor für Geschwindigkeitsmessung, Foto: Jepessen

Einseitensensor für Geschwindigkeitsmessung, Foto: Jepessen

Bußgeldsachen mache ich als Verteidiger nur selten. Insbesondere im Straßenverkehrsrecht. Da herrscht bisweilen doch viel Willkür, weiß ich aus früheren Erfahrungen. Und meistens glauben die Richterinnen und Richter den Polizeizeugen selbst dann, wenn die sich nicht mehr erinnern können und nur auf ihre seinerzeitigen Vermerke oder Anzeigen verweisen. Selbst bei erheblichen Widersprüchen im Aussageverhalten wird Vieles geradegebügelt, Hauptsache, es passt. Deshalb überlasse ich solche Verteidigungen in der Regel anderen.

Heute habe ich seit langem mal wieder in einer verkehrsrechtlichen OWi-Angelegenheit verteidigt. Ein Freund hatte mich darum gebeten. Ihm war nämlich vor einiger Zeit ein Anhörungsbogen ins Haus geflattert, weil eine weibliche Person mit einem auf ihn zugelassenen Pkw eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen haben soll. Der Mann hatte keine Angaben dazu gemacht, wer gefahren ist, und sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen.

Das wiederum hatte die Ordnungsbehörde nicht ruhen lassen. Die hat ermittelt, welche weibliche Person unter derselben Anschrift wie der Fahrzeughalter gemeldet ist, und dieser dann einen Anhörungsbogen zukommen lassen. Diesen hatte die Frau auch brav ausgefüllt und mitgeteilt, das sie nicht gefahren ist. Wer gefahren ist, hat sie nicht angegeben und musste sie ja auch nicht wissen. Schließlich war es nicht ihr Auto.

„So nicht!“, hat sich wohl der zuständige Sachbearbeiter bei der Bußgeldstelle gedacht und über das Einwohnermeldeamt das Passbild der Frau angefordert. Und da hat er eine deutliche Übereinstimmung mit dem Radarfoto festgestellt. Jedenfalls kam ihm das so vor. Das reichte ihm dann, einen Bußgeldbescheid zu erlassen.

Dass die Betroffene fast 20 Jahre älter ist als das Mädel auf dem Radarfoto, ist ihm nicht aufgefallen. Kann man ja auch als Kompliment für die Frau werten, finde ich.

Jedenfalls haben wir heute vor dem Ratinger Amtsgericht über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid verhandelt. Ich habe vorgetragen, dass meine Mandantin bestreitet, gefahren zu sein. Ich habe mich darüber mokiert, dass ein bloßer Passbildvergleich ausgereicht hat, einer Frau, die nicht einmal Fahrzeughalterin ist, einen Bußgeldbescheid zu verpassen. Zumindest hätte man die Dame doch einmal persönlich in Augenschein nehmen können.

Die junge Richterin hat abwechselnd auf das Radarfoto und auf meine Mandantin geschaut. Das könne sie schon sein, befand sie. Ob wir denn sagen könnten, wer gefahren ist. „Können wir schon, wollen wir aber nicht!“, habe ich zunächst gesagt und die Richterin gefragt, was sie denn jetzt zu tun gedenke. „Ein Gutachten einholen, aber das wird teuer!“, lautete die Antwort. Außerdem verstehe sie nicht, dass die Betroffene sich nicht im Anhörungsverfahren geäußert habe. „Hat sie doch!“, habe ich gekontert, ihre Stellungnahme steht auf Blatt 22 der Akte: „Ich bin nicht gefahren!“

Ich habe der Richterin ein Foto der tatsächlichen Fahrerin gezeigt und darauf hingewiesen, dass es sich um die Tochter des Fahrzeughalters handele (gegen die der Vorwurf inzwischen verjährt ist). Ich habe auch darauf verwiesen, dass das Autokennzeichen die Initialen der Tochter und nicht die der Betroffenen enthält. Die Richterin hat sich das Foto der Tochter genau angeschaut und gemeint, die habe aber eine andere Frisur als auf dem Blitzerfoto. Ich habe leise darauf hingewiesen, dass manche Frauen bisweilen ihre Haartracht ändern.

Dann habe ich den größten Trumpf in dieser schwierigen Causa ausgepackt. Ich habe eine Reisebestätigung vorgelegt, wonach meine Mandantin eine Reise in die Emirate gebucht hatte, die sie am Tag vor dem Verkehrsdelikt angetreten hat. Dass sie tatsächlich gereist ist und sich folglich ein paar tausend Kilometer vom Tatort befand, habe ich durch Vorlage des Reisepasses mit einem entsprechenden Einreisestempel belegt.

Also Freispruch? Denkste! Die Richterin will das Alles jetzt erstmal auf den Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Sie will die Adresse der Tochter des Fahrzeughalters ermitteln und diese dann befragen lassen. Ein Freispruch könne dann ja auch im Beschlusswege ergehen, meinte sie.

Da behaupten manche, die Justiz sei überlastet. Aber wenn es um Wesentliches geht, dann werden weder Mühen noch Kosten gescheut, wie der vorliegende Fall zeigt.

Wir sind erst einmal ohne den sicher geglaubten Freispruch wieder abgereist. Ich ärgere mich im Nachhinein ein wenig, die tatsächliche Fahrerin benannt zu haben. Auch wenn der nichts mehr passieren kann. Aber es wäre ja interessant gewesen zu erfahren, ob dann trotz der erdrückenden Freispruchlage noch ein gesichtsmorphologisches Gutachten oder Ähnliches veranlasst worden wäre.

 

 


Kategorie: Strafblog
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