Wurde der Hauptbelastungszeuge von der Staatsanwaltschaft gekauft? Eine zweifelhafte Hinrichtung und ein später Aussagewiderruf



Veröffentlicht am 6. August 2014 von

Rainer Pohlen, Foto: Stefan Völker

Rainer Pohlen, Foto: Stefan Völker

Justizirrtümer gehören zum Justizalltag dazu, das gilt nicht nur in anderen Ländern, sondern auch bei uns. Ungesicherte Schätzungen besagen, dass in Deutschland bis zu 25 % aller Strafurteile falsch sein sollen. Auch wenn mir diese Zahl reichlich willkürlich erscheint, denke ich aufgrund eigener Erfahrungen aus 30 Jahren Strafverteidigung, dass die Quote von Fehlurteilen jedenfalls beachtlich ist.

In den USA kommt es immer wieder zu bisweilen spektakulären Aufhebungen von Urteilen, weil sich – bisweilen nach Jahrzehnten – aufgrund neuer Erkenntnisse und moderner wissenschaftlicher Methoden herausstellt, dass die Gerichte seinerzeit falsch gelegen haben. Mehrere hundert Todesurteile sind in den letzten Jahren in Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben worden.

Nicht selten kommt es allerdings auch vor, dass die Justiz trotz ziemlich erdrückender Beweise an den alten Urteilen festhält und großen Widerstand gegen deren Aufhebung leistet. Über einen solchen Fall aus dem Jahr 1991, der sich inzwischen als mutmaßliches Fehlurteil mit fatalen Folgen erwiesen hat, berichtet spiegel-online in einem lesenswerten Beitrag. Danach wurde Cameron Todd Willingham im Jahr 2004, also 13 Jahre nach der angeblichen Tat, in dem für seine brachiale Hinrichtungspraxis berüchtigten Bundesstaat Texas für einen Dreifachmord hingerichtet, der wohl gar nicht stattgefunden hat. Tatsache ist, dass im Haus der Willingshams seinerzeit ein Feuer ausgebrochen war, bei dem die drei Kinder der Eheleute, die zweijährige Amber und die einjährigen Zwillinge Karmon und Kameron, ums Leben kamen. Cameron Willingham hatte seinerzeit angegeben, von dem Brand überrascht worden zu sein. Er habe noch versucht, die Kinder zu retten, habe die Rettungsversuche aber abbrechen müssen, weil seine Haare Feuer fingen und die Decke einzustürzen begann.

Die Version der Anklagebehörde lautete anders. Willington habe mittels Brandbeschleunigern das Haus in Brand gesetzt und die Kinder vorsätzlich getötet, um eine vorangegangene Misshandlung seiner Ehefrau an einem der Kinder zu vertuschen. Das habe Willington nach seiner Verhaftung gegenüber einem Zellengenossen namens Johnny Webb gestanden.

Obwohl Willington bis zuletzt seine Unschuld beteuert und das angebliche Geständnis gegenüber Webb bestritten hatte, war letzterer im Prozess bei seinen Behauptungen geblieben. Zwar hatten Gerichtsmediziner keine Misshandlungsspuren an den Kindern feststellen können, aber Webbs Aussage und forensische Gutachten, wonach der Brand an mehreren Stellen im Haus ausgebrochen sei, was auf die Verwendung von Brandbeschleunigern hindeute, hatten für das Todesurteil ausgereicht.

23 Jahre nach der Tat hat der damalige Hauptbelastungszeuge Webb nun seine damaligen Angaben aus Gewissengründen widerrufen. Er sei von dem zuständigen Staatsanwalt John Jackson zu der Falschbelastung überredet worden. Jackson habe ihm einen Deal angeboten, wonach er sich in dem gegen ihn anhängigen Raubverfahren für ihn einsetzen wolle, falls er Willington belaste. Jackson habe ihm Fotos von den verbrannten Kinderleichen gezeigt und ihn gefragt, ob er wolle, dass ein Mörder frei in den Straßen herumlaufe. Die Staatsanwaltschaft hat einen Deal mit Webb stets bestritten. Jackson habe sich später ohne vorherige Verabredung für Webb eingesetzt, weil dieser wegen seiner belastenden Aussage im Knast Probleme bekommen habe.

Das hat Webb jetzt öffentlich völlig anders dargestellt. Willington habe ihm gegenüber nie ein Geständnis abgelegt. Er habe für seine Falschaussage von dem Staatsanwalt neben anderer Unterstützung 10.000 Dollar zugesagt bekommen, die ihm durch einen reichen Ranchbesitzer per Scheck bezahlt worden seien. Davon habe er sich nach seiner Haftentlassung ein Auto gekauft.

Im Prozess gegen Willington hatte Webb die ausdrückliche Frage Jacksons, ob dieser ihm für seine Aussage etwas angeboten hätte, verneint. Webb gibt an, er hätte schon im Jahr 2000, also lange vor der Hinrichtung Willingtons, seine Aussage in einem Brief an die Staatsanwaltschaft widerrufen. Das Schreiben ist aber angeblich nie zur Akte gelangt.

Inzwischen liegen auch Gutachten vor, wonach der Brand nicht durch Brandbeschleuniger forciert worden sein muss. Es könne auch sein, dass die Möbel im Haus aufgrund großer Strahlungshitze an verschiedenen Stellen im Haus in Brand geraten seien, ohne zuvor mit den Flammen in Kontakt gekommen zu sein. Der damalige Staatsanwalt Jackson will sich inzwischen nicht mehr zur Sache äußern, nachdem die Presse detaillierte Fragen an ihn gerichtet hat.

Die US-Organisation „Innocent Project“, die sich für Justizopfer einsetzt, versucht seit längerem, eine Aufhebung des Urteils zu erreichen. Zuletzt wurde ein Antrag auf postume Begnadigung Willingtons vom texanischen Gouverneur Rick Perry, der engagierter Anhänger der Todesstrafe ist, abgelehnt. Das war im April diesen Jahres.


Kategorie: Strafblog
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