Das war ein ganz unerwarteter Gefühlsausbruch, den der Vorsitzende Richter einer großen Strafkammer am vergangenen Donnerstag vom Stapel ließ, nachdem meine Mitverteidigerin etliche Beweisanträge gestellt hatte. Das sei eine Unverfrorenheit, die Anträge erst zu diesem Zeitpunkt nach einer monatelangen Beweisaufnahme zu stellen, brüllte er mit reichlich rotem Kopf in den Saal, was eine kaum weniger heftige Reaktion der Kollegin hervorrief, die auf ein spezielles Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten hindeutete.
Was war geschehen? Ich selbst war erst ganz spät, nämlich nach 22 Verhandlungstagen in das Verfahren eingestiegen und hatte als bislang einzigen Akt der Beweisaufnahme noch mitbekommen, wie eine Beamtin des Landeskriminalamtes als Zeugin aussagte, sie und eine inzwischen dienstunfähig erkrankte Kollegin hätten recherchiert, dass es nach der Festnahme der beiden Angeklagten im April 2010 keine vergleichbaren Überfälle auf Supermärkte in Deutschland mehr gegeben habe. Danach hatte die Staatsanwaltschaft plädiert und in einem reinen Indizienprozess 13 Jahre Freiheitsstrafe für beide Angeklagte gefordert, die unter anderem in einer Vielzahl von Fällen jeweils maskiert und mit Pistolen und Vorschlaghämmern bewaffnet das Personal beim Verlassen der Supermärkte nach Geschäftsschluss in den Laden zurückgedrängt und zum Öffnen der Safes gezwungen haben sollen. Aufgrund der Körpergrößenverhältnisse, des südländischen oder osteuropäischen Dialekts, der im Wesentlichen identischen Vorgehensweise und einiger anderer Indizien sei von der Täterschaft der Angeklagten auszugehen, auch wenn diese von niemandem eindeutig identifiziert werden konnten und auch keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren an den Tatorten zurückgelassen hätten, hatte die Staatsanwaltschaft argumentiert. Ach ja, und auch deshalb, weil es nach ihrer Festnahme keine Taten nach demselben Strickmuster in ganz Deutschland mehr gegeben hätte.
Die Kollegin hatte daraufhin gegoogelt und 13 Fälle gefunden, die sich jedenfalls nach den veröffentlichten Presseberichten zum Teil recht ähnlich anhörten und überwiegend stattgefunden hatten, nachdem die Angeklagten in Haft genommen worden waren. Auch jeweils zwei Täter hatten die Taten begangen, beide maskiert und behandschuht, beide mit Pistolen ausgerüstet, das war in allen Fällen identisch. Auch sie hatten Personal von Supermärkten, Tankstellen oder Spielhallen beim Verlassen ihrer Arbeitsstellen in die Geschäfte zurückgedrängt und zum Öffnen der Kassen oder Safes gezwungen. In etlichen Fällen wurden Vorschlaghämmer mitgeführt, die Größenunterschiede waren zum Teil vergleichbar mit unseren Angeklagten und ein südländischer oder osteuropäischer Akzent war ebenfalls mehrfach geschildert worden. Und das hatte die Kollegin genüsslich vorgetragen, was den Vorsitzenden zu seiner Gefühlseruption veranlasste.
Der Staatsanwalt hatte immerhin konzentriert zugehört und bei einem der vorgetragenen Fälle kopfschüttelnd darauf hingewiesen, dass es sich offensichtlich um eine der angeklagten Taten handele, womit er auch Recht haben dürfte.
Sie habe es nicht nötig, sich von dem Vorsitzenden anbrüllen zu lassen, meinte die Kollegin durchaus zu Recht, und außerdem sei sie davon ausgegangen, dass die Ermittlungsbehörden ihre Arbeit machten und mit überlegenem Wissen und Einblick in polizeiliche Datenbanken in der Lage seien, Vergleichsfälle zu recherchieren. Und googlen sollten Polizeibeamte auch können, dann hätten sie die von ihr vorgetragenen Fälle unproblematisch herausfinden können. Sie selbst habe sich erst dazu veranlasst gesehen, nachdem die LKA-Beamtin zu ihrem Erstaunen nicht fündig geworden sei.
Der Vorsitzende schnappte ein wenig nach Luft, aber dann war´s auch wieder gut und wir haben uns auf den nächsten Termin vertagt, nachdem ich zuvor auch noch Beweisanträge gestellt hatte. Er weise darauf hin, dass er auch Ausschlussfristen zur Stellung weiterer Beweisanträge stellen könne, meinte der Richter noch in Anspielung auf eine umstrittene BGH-Entscheidung und wies auf den Terminsdruck der Kammer hin, die deshalb schon den übernächsten Verhandlungstermin mangels Alternative auf einen Samstag gelegt hat. Ich selbst blieb von Vorwürfen des Gerichts verschont, anscheinend hat man dort zur Kenntnis genommen, dass ich erst spät ins Verfahren eingestiegen bin und meine Anträge deshalb nicht früher stellen konnte. Vielleicht habe ich ja noch welche in petto.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Wutanfall des Richters, weil die Verteidigung die Aufgaben der Ermittlungsbehörden nicht frühzeitig erledigt hat. Demnächst wird am Samstag verhandelt…
Schlagworte:
vor: Was hat der deutsche Zoll nur gegen japanische Geigerinnen? Erneut teure...
zurück: Beltracchi und der Kunstfälscher-Skandal: Kunstauktionshaus Lempertz muss...