Zu Neujahr im Knast: „Es gibt kein größer Leid, als das der Mensch sich selbst andeit“



Veröffentlicht am 1. Januar 2015 von

Rainer1Jasper F. (Name geändert)  ist ein durchaus atttraktiver junger Mann und geht auf die Dreißig zu. Er hat eine reichlich chaotische Persönlichkeitsstruktur und hat es in den letzten Jahren mit der Wahrheit und der Ehrlichkeit nicht immer genau genommen. Deshalb wurde er Anfang diesen Jahres in einem mehrtägigen Prozess zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, die mit Ach und Krach zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ihm wurde ein Bewährungshelfer bestellt, zu dem er regelmäßigen Kontakt halten muss. Außerdem wurden ihm  etliche Stunden sozialer Arbeit und Schadenswiedergutmachung „nach besten Kräften“ auferlegt. Das ist eine Auflage, die häufig Probleme macht, weil sie zu ungefähr und damit nur schwer kontrollierbar ist.

Die Auflage, das noch offen stehende Anwaltshonorar zu zahlen, wurde ihm (leider) nicht gemacht.

Jasper hat eigentlich – das schreibe ich ganz unbescheiden – allen Grund, mir dankbar zu sein. Die mit viel Aufwand und einem Gutachten zur Schuldfähigkeit erreichte Bewährungsstrafe war alles andere als selbstverständlich gewesen. Jasper hat einen guten Job und – wie ich inzwischen weiß  – auch noch ein paar Nebentätigkeiten, so dass seine Kasse eigentlich gut gefüllt sein müsste. Meinem in Anbetracht der vielen Verhandlungstage nicht ganz unbeachtlichen Resthonorar laufe ich allerdings seit damals hinterher. Eine Rate wurde noch gezahlt, das war´s dann. Post an Jasper kam mit Unzustellbarkeitsvermerk zurück. Versuche, ihn über seine Familie zu erreichen, scheiterten. Einmal bin ich ihm zufällig in der Stadt begegnet und habe ihn auf meine Honorarforderung angesprochen. Er hat mir Stein und Bein geschworen, sich darum zu kümmern. Es kam allerdings nichts. Die Akte hat mir erst vor wenigen Tagen zur Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens wieder auf dem Tisch gelegen.

Am Dienstag, also am vorletzten Tag des alten Jahres, teilte mir Jaspers Schwester mit, dass ihr Bruder festgenommen worden sei. Er habe wohl gegen Bewährungsauflagen verstoßen, deshalb sei die Bewährung widerrufen worden. Er sitze jetzt im Polizeigewahrsam und solle der Haftanstalt zugeführt werden. Die Schwester bat mich darum, mich um Jasper zu kümmern. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich eine wirtschaftliche Grundlage bräuchte. Und dass da noch Altlasten bestünden. Die Familie hat zusammengelegt. Nicht alles, aber doch einen brauchbaren Teil.

Also bin ich zur Polizei gefahren und habe mit Jasper gesprochen. Jasper hat sich geschämt, als er mich sah. Zumindest sagte er mir das. Nein, er hätte nicht damit gerechnet, dass ich kommen würde. Der junge Kerl sah reichlich verquollen aus, er hatte wohl keine gute Nacht im Polizeigewahrsam gehabt. Am Abend zuvor hatten  Polizeibeamte ihn an seinem Arbeitsplatz in der Gastronomie angetroffen und mitgenommen. Es liege ein Vollstreckungshaftbefehl gegen ihn vor.

Ich habe Jasper gefragt, ob er irgendwann eine Ladung zum Strafantritt erhalten haben. „Nein, nicht dass ich wüsste.“ Ob ihm ein Bewährungswiderruf zugestellt worden sei: „Keine Ahnung, ich glaube nicht!“. Ob er denn im Bewährungswiderrufsverfahren angehört oder zumindest zu einer Anhörung geladen worden sei: „Weiß ich auch nicht!“

Jasper hat seit Monaten keine Post mehr geöffnet. Überhaupt hat er sich, so sagte er mir, nur noch selten in seiner Wohnung aufgehalten. Er habe zumeist bei seiner neuen Freundin übernachtet, de facto wohne er da. Wenn er mal nachhause gekommen sei, wäre keine Post im Briefkasten gewesen. Er gehe davon aus, dass sein Vermieter den Briefkasten geleert hätte.

Ich habe den ziemlich verzweifelten jungen Mann gefragt, ob er denn Kontakt mit seinem Bewährungshelfer gehalten und seine Sozialstunden absolviert hätte. „Nicht so richtig“, lautete die Antwort. Einmal sei er bei dem Bewährungshelfer gewesen, aber das hätte ihn psychisch sehr belastet. Er sei auch einmal bei einem Therapeuten gewesen, mit demselben Ergebnis. Danach hätte er sich nur noch in die Arbeit gestürzt und Alles, was da auf ihn zukommen könnte, verdrängt. Ihm sei unterschwellig schon klar gewesen, dass es irgendwann so kommen würde. Aber er hätte einfach nicht dagegen angehen können.

Bei der Staatsanwaltschaft habe ich inzwischen in Erfahrung gebracht, dass in der Tat wegen nachhaltiger Verletzung der Bewährungsauflagen ein Bewährungswiderruf erfolgt sei. Auf eine schon vor 2 Monaten erfolgte Ladung zum Strafantritt hätte Jasper nicht reagiert, deshalb sei ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen worden.

Im Prozess hatte ein psychiatrischer Sachverständiger eine gravierende Persönlichkeitsstörung bei Jasper festgestellt. Sinngemäß stand in dem Gutachten auch drin, dass er dazu neige, vor Problemen wegzulaufen. Die Persönlichkeitsstörung hatte zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit und letztlich zur Bewährung geführt. Jetzt hat sie Jasper ins Gefängnis gebracht. Zunächst einmal jedenfalls.

Es wird nicht einfach sein, Jasper in dieser Situation noch zu helfen. Der Bewährungswiderruf ist bestandkräftig. Angreifbar ist er allenfalls über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist oder durch einen Antrag auf nachträgliche Anhörung gem. § 33a StPO. Ich habe das in anderen Fällen schon ein paar mal hingekriegt. Allerdings wird es in der Sache darum gehen darzulegen, dass kein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Bewährungsauflagen vorliegt. Ist ein Verstoß dann nicht gröblich, wenn der Verurteilte aufgrund eines psychischen Defektes nicht in der Lage ist, die Auflagen einzuhalten? Sie merken, da kommt Arbeit auf mich zu.

Wer das Ganze jetzt liest, der wird möglicherweise den Kopf schütteln und denken: „Es gibt kein größer Leid, als das der Mensch sich selbst andeit!“ Und ganz unrecht hat er damit sicher nicht.

Ich wünsche allen strafblog-Lesern ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr.


Kategorie: Strafblog
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