Über Schwierigkeiten mit Übersetzern und Sprachsachverständigen hat der Kollege Pohlen im Zusammenhang mit einem vor dem OLG Frankfurt stattfindenden Staatsschutzverfahrens bereits im strafblog berichtet. Nicht viel besser ergeht es meinen Kollegen und mir derzeit in einem vor dem Landgericht Köln stattfindenden Umfangsverfahren gegen mehrere aus Rumänien stammende Angeklagte, denen die Anklage bandenmäßigen Diebstahl zur Last legt. Die Verteidigung ist streitbar und stellte von Beginn an Anträge auf Unterbrechung des Verfahrens und etliche Befangenheitsanträge, die das Gericht ersichtlich nervten. Nach etlichen Verhandlungstagen war noch nicht einmal die Anklage verlesen, die wegen diverser Mängeln erst einmal neu übersetzt werden musste.
Wenn das Gericht schon kein Glück mit den -streitbaren- Verteidigern hatte, dann kam auch noch eine ganze Portion Pech hinzu. Und zwar in der Gestalt der Dolmetscher und eines Sprachsachverständigen, der – und das ist sehr zurückhaltend formuliert – seine prozessuale Funktion völlig verkannt hat.
Nachdem schon eine Dolmetscherin wegen offensichtlicher Kompetenzprobleme von der Vorsitzenden entlassen worden war, kam der Sprachsachverständige ins Spiel. Er war dazu berufen, die Fehler in der Übersetzung der Anklageschrift zu beheben, die es durchaus in sich hatten. Nur zwei Beispiele: Als Beweismittel waren in der Anklage „Lichtbildaufnahmen vom Tatort“ angeführt. In der rumänischen Übersetzung wurde daraus: „ Fotos, die die Angeklagten am Tatort zurückgelassen haben“. Ist ja fast dasselbe, oder? Aus einem LKW, mit dem das Diebesgut abtransportiert worden sein soll, wurde in der Übersetzung ein „Bollerwagen“ (und das, obwohl die Tat gar nicht am Vatertag stattgefunden hat).
Der mit der Kontrolle der Übersetzungsleistung beauftragte Sachverständige lehnte sich weit aus dem Fenster und tat – ganz im Sinne der Verteidigung – kund, die ursprüngliche Übersetzung der Anklage erfülle nicht einmal die fachlichen Mindestanforderungen. Er habe es sich nie träumen lassen, dass eine Kollegin derart verantwortungslos arbeiten könne. Die betreffende Kollegin, die auch als Dolmetscherin in der Hauptverhandlung bestellt war, wurde aufgrund dessen von ihrer Aufgabe entbunden. Kurz darauf sah sich der Sachverständige mit sehr vergleichbaren Vorwürfen konfrontiert, die sich nunmehr gegen seine Übersetzung richteten. Diverse Male wurde er durch die Verteidigung gefragt, wieso er bestimmte Korrekturen vorgenommen hatte, warum er manche Änderungen gar nicht oder völlig wahllos und auf verschiedene Art und Weise gekennzeichnet hatte oder weshalb er nur einen Bruchteil der von ihm verwendeten Literatur (die auch gerne Mal aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts stammte) in das Literaturverzeichnis aufgenommen hatte. Meist lautete seine Antwort, dass ihm dabei wohl ein Fehler unterlaufen sei. Solche waren zahlreich. Deshalb mussten immerhin drei Hauptverhandlungstage allein auf die ersten sieben Seiten seines Gutachtens verwendet werden. Unterdessen liegt auch schon seine Korrektur seiner Korrektur der Ursprungsübersetzung vor. Die Bedenken, er selbst arbeite in der Hauptverhandlung mit einer dritten, der Verteidigung noch nicht bekannten Übersetzungsversion, sind noch nicht ausgeräumt. Einige Verteidiger haben bereits angekündigt, auch zu zurückliegenden – eigentlich schon abgehandelten – Passagen noch Fragen stellen zu wollen. Hierzu wird es indes wohl nicht mehr kommen.
Denn der Sachverständige will nicht mehr. Er hat bereits mehrfach um seine Entpflichtung gebeten. Zuvor hatte er in der Hauptverhandlung der Verteidigung vorgeworfen, sie würde ihn grundlos reizen. Außerdem hätte ein antragstellender Verteidiger in seinem Antrag ja auch Fehler gemacht. Welche Fehler er meinte und ob diese Äußerung dahingehend zu verstehen ist, dass er deshalb auch das Recht habe, Fehler zu machen, blieb ungeklärt. Er würde „sein Mandat niederlegen“, erklärte der Sachverständige zum allgemeinen Erstaunen, und dann wären wir „ihn los“. Es oblag dem Gericht, ihn darauf hinzuweisen, dass er als bestellter Sachverständiger nicht so ohne weiteres den Dienst quittieren könne.
In einem späteren Hauptverhandlungstermin meinte der Mann, die Verteidigung würde „Atmosphäre gegen mich“ machen. Er habe alles nach bestem Wissen und Gewissen übersetzt, er sei zu 80% schwerbehindert und wolle über diesen Prozess nicht zu 100% behindert werden. Letzteres zumindest kann ich nachempfinden.
Außerdem habe er noch Menschenwürde, meinte der Sachverständige recht weinerlich, und die wolle er behalten. Es gehe nicht an, dass man alles hinterfrage, was er geleistet habe. Ein interessanter Ansatz: Kritische Fragen an den Sachverständigen als Angriff auf die Menschenwürde.
Sämtliche an den empfindsamen Übersetzer gerichteten Belehrungen der Vorsitzenden Richterin über die Funktion des Sachverständigen und das Recht der Verteidigung zur konfrontativen Befragung prallten ungehört an diesem ab. Böse Zungen behaupten, er habe die Belehrungen wegen der Sprachbarriere schlichtweg nicht verstanden …
Jetzt wird nach pragmatischen Lösungen gesucht. Nach 11 Hauptverhandlungstagen (mehrere Hauptverhandlungstage vor einer vorübergehenden Aussetzung des Verfahrens nicht eingerechnet) wird darüber nachgedacht, eine verfahrensverkürzende Verständigung gemäß § 257 c StPO herbeizuführen. Niemand will sich noch im kommenden Jahr mit der Korrektur der Korrektur der Korrektur der Übersetzung der Anklage beschäftigen. Die Vorstellungen von Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft liegen unter dem Druck der Situation plötzlich nicht mehr ganz so weit auseinander, will mir scheinen.
Ein Problem bleibt natürlich: Die Angeklagten müssen in eine etwaige Verständigung eingebunden werden, und das setzt voraus, dass die Tatvorwürfe – also die Anklage – und auch der Inhalt einer etwaigen Absprache korrekt übersetzt werden, damit die Leute überhaupt verstehen, worum es geht ….
Kategorie: Strafblog
Permalink: Der Dämon des Strafprozesses, oder: Wie die Befindlichkeiten eines Sachverständigen Stillstand und Bewegung in ein Verfahren bringen können
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