Verstirbt ein Patient oder kommt er sonst zu Schaden, stellt sich häufig die Frage „War es ärztliches Versagen?“. Patienten und/oder Angehörige suchen einen Schuldigen, benötigen ihn in schwerwiegenden Fällen womöglich auch zur eigenen Situationsbewältigung.
In vielen Fällen führt ein medizinischer Misserfolg daher zu Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung oder gar fahrlässiger Tötung, auch wenn keinesfalls aus dem Misserfolg der Behandlung auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers rückgeschlossen werden darf. „Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren“, meint der Bundesgerichtshof, und damit hat er sicher Recht. Denn bei allem Fortschritt sind wir in der Medizin noch nicht so weit, dass sich sämtliche somatischen Vorgänge sicher kalkulieren und beherrschen lassen.
Eine strafrechtliche Haftung des Arztes kommt allerdings – aber auch erst dann – in Betracht, wenn dieser die im Verkehr erforderliche (objektive) Sorgfaltspflicht verletzt hat.
Aber was ist objektiv sorgfaltswidrig? § 276 BGB regelt die Sorgfaltspflichten eines Schuldners (auch der Arzt schuldet eine Leistung) und differenziert zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt danach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Die Rechtsprechung stellt im Rahmen der Arzthaftung auf den „Standard eines erfahrenen Facharztes“ des jeweiligen Fachgebiets ab (vgl. bspw. OLG Hamm · Beschluss vom 8. Juni 2005 · Az. 3 Ws 473 – 476/04), was mehr oder minder mit dem „Stand der Wissenschaft“, der einem ständigen Wandel unterliegt, gleichzusetzen ist.
Was gestern noch als „sorgfältig“ beurteilt wurde, kann heute schon wieder „grob fahrlässig sein“.
Um zu wissen, was dem aktuellen „Stand der Wissenschaft“ entspricht, muss sich der im Medizinstrafrecht tätige Verteidiger in jedem Einzelfall mit Richtlinien, klinikinternen Leitlinien und sonstigen fachlichen Empfehlungen auseinandersetzen. Gleichzeitig muss er aber auch beachten, auf welchem Stand sich die Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung (der fahrlässigen Tötung/fahrlässigen Körperverletzung?) befand. Denn für die Frage, ob der Arzt sorgfältig oder fahrlässig gearbeitet hat, ist stets die sog. „ex ante“-Sichtweise ausschlaggebend.
Nicht zuletzt muss auch gefragt werden, ob es mehrere alternative Therapiemöglichkeiten gab und ob sich der sachgerecht beratene Patient für eine bestimmte entschieden hat. Denn auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten muss der Arzt, selbst wenn es seiner Empfehlung widerspricht, berücksichtigen.
Ärzte, die sich strafrechtlichen Vorwürfen wegen angeblicher oder tatsächlicher Beratungs- und/oder Behandlungsfehler ausgesetzt sehen, sind mit der Situation oft völlig überfordert. Zumeist tun sie sich schwer, die strafrechtlichen Risiken eines Ermittlungsverfahrens sachgerecht zu beurteilen. Der Vorwurf empört und verunsichert sie gleichermaßen, zumal die Strafjustiz für sie ein fremdes Terrain ist. Wichtig ist es, in solchen Situationen kühlen Kopf zu bewahren und sich frühzeitig fachliche Hilfe zu holen, anstatt erst einmal selbst an dem Problem „herumzudoktern“. Bei unglücklichen Einlassungen zur Sache ist schnell ein irreversibler Schaden entstanden, der sich im nachfolgenden Verlauf allenfalls noch symptomatisch abmildern, aber nicht mehr völlig beheben lässt. Deshalb gilt auch hier: Vorbeugen ist besser … lieber gleich zum Fachanwalt oder zur Fachanwältin :-)
Kategorie: Strafblog
Permalink: Medizinstrafrecht: Vorbeugen ist besser – Lieber gleich zum Spezialisten. Ein Beitrag zur ärztlichen Sorgfaltspflicht.
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