Strafanzeige – kann ich meine Anzeige zurücknehmen?



Veröffentlicht am 3. April 2012 von

Nein, grundsätzlich kann ich ein einmal eingeleitetes Strafverfahren nicht durch Rücknahme meiner Strafanzeige beenden. Die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsleiterin muss nach dem Legalitätsprinzip (§ 152 Abs.2 StPO) grundsätzlich unabhängig vom Willen des Geschädigten tätig werden (Verfolgungszwang), sobald sie Kenntnis von einem Verstoß gegen im Strafgesetzbuch (StGB) oder anderen Spezialgesetzen enthaltene Strafvorschriften erlangt.
Nur einige wenige Straftatbestände sind hingegen sog. Antragsdelikte, bei denen das Anklagemonopol des Staates nicht uneingeschränkt gilt und die grundsätzlich nur auf Antrag des Verletzten oder im Falle seines Todes von nächsten Angehörigen verfolgt werden (§§ 77 ff. StGB). Die Antragsfrist beträgt für den Verletzten 3 Monate ab Kenntnis von Tat und Täter und kann für Angehörige auf max. 6 Monate ausgedehnt werden (§ 77 b StGB).
Zu der Verfolgung von Antragsdelikten heißt es in Nr. 6 Abs. 1 der für die Staatsanwaltschaften geltenden Richtlinien (RiStBV):

„Wegen einer Straftat, die nur auf Antrag zu verfolgen ist, wird der Staatsanwalt in der Regel erst tätig, wenn ein ordnungsgemäßer Strafantrag vorliegt. Ist zu befürchten, dass wichtige Beweismittel verloren gehen, so kann es geboten sein, mit den Ermittlungen schon vorher zu beginnen.“

Die Antragsdelikte sind in § 374 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) zusammengefasst:

ein Hausfriedensbruch (§ 123 des Strafgesetzbuches),

eine Beleidigung (§§ 185 bis 189 des Strafgesetzbuches), wenn sie nicht gegen eine der in § 194 Abs. 4 des Strafgesetzbuches genannten politischen Körperschaften gerichtet ist,

eine Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 des Strafgesetzbuches),

eine Körperverletzung (§§ 223 und 229 des Strafgesetzbuches),

eine Bestechlichkeit oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 des Strafgesetzbuches),

eine Sachbeschädigung (§ 303 des Strafgesetzbuches),

eine Straftat nach § 323a des Strafgesetzbuches, wenn die im Rausch begangene Tat ein in den Nummern 1 bis 6 genanntes Vergehen ist,

eine Straftat nach den §§ 16 bis 19 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb,

eine Straftat nach § 142 Abs. 1 des Patentgesetzes, § 25 Abs. 1 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 Abs. 1 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 Abs. 1 des Sortenschutzgesetzes, § 143 Abs. 1, § 143a Abs. 1 und § 144 Abs. 1 und 2 des Markengesetzes, § 51 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 des Geschmacksmustergesetzes, den §§ 106 bis 108 sowie § 108b Abs. 1 und 2 des Urheberrechtsgesetzes und § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie
Nur bei diesen Antragsdelikten genügt unter Umständen die Antragsrücknahme des Geschädigten, um das Verfahren zu beenden.

Aber Achtung! Alle oben genannten Antragsdelikte sind zugleich sog. Privatklagedelikte, bei denen der Geschädigte grundsätzlich selbst – wie ein Staatsanwalt – durch eine Art eigener Anklageschrift Klage zum Strafgericht erheben muss (§ 374 StPO), sofern die Staatsanwaltschaft auf den Strafantrag des Verletzten nicht bereit ist, das Verfahren zu übernehmen (§ 377 Abs. 2 StPO). Bei der Annahme eines öffentlichen Interesses wird sie das Verfahren aber ohne Rücksicht auf den Willen des Geschädigten tun (Nr.172, 86 RiStBV).

Nr. 86 RiStBV lautet:

“I. Sobald der Staatsanwalt von einer Straftat erfährt, die mit der Privatklage verfolgt werden kann, prüft er, ob ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen besteht.

II. Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist.

III. Der Staatsanwalt kann Ermittlungen darüber anstellen, ob ein öffentliches Interesse besteht.”

Beispiel:

Ein durch ein fehlerhaftes Medikament Geschädigter zeigt die Verantwortlichen der Herstellerfirma Pharmaquick wegen einfacher oder fahrlässiger Körperverletzung an. Nach Verhandlungen zwischen dem Leiter der Rechtsabteilung und dem Geschädigten erfolgt die schnelle Zahlung eines großzügigen Schmerzensgeldes, worauf der Geschädigte seinen Strafantrag zurücknimmt. Vereinbarungsgemäß erklärt er ggü. der Staatsanwaltschaft, dass er kein Interesse mehr an einer Bestrafung des Herstellers habe. Da die angezeigte Körperverletzung ein Antragsdelikt ist, könnte die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung einstellen, wird dies aber möglicherweise wegen des mit dem Produkthaftungsfall verbundenen Medieninteresses – und weil sie sich übergangen fühlt – nicht tun und stattdessen das öffentliche Interesse bejahen. Im Rahmen einer geschickten Verteidigungsstrategie hätte die Rechtsabteilung mit zusätzlichen Argumenten frühzeitig versuchen müssen, die Staatsanwaltschaft „auf Linie zu bringen“ und ihr ein Verfolgungsinteresse „auszureden“.

Rechtsanwalt Gerd Meister


Kategorie: Tipps und Tricks
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